Fix und forty: Roman (German Edition)
Sommermorgen. Nichts vermag ihr die Laune zu verderben. Sie ist die Sorte Mutter, die morgens um sechs zu uns ins Kinderzimmer kam, um uns singend aus den Federn zu locken, denn Morgenstund hat Gold im Mund, auch bei Wochenend und Sonnenschein. Wohlgemut ist sie. Weltgewandt ist sie nicht. Einmal kaufte sie Hannah ein schwarzes T-Shirt, auf dem in pinkfarbenen Glitzerbuchstaben NASTY!! stand. Sie wusste nicht, was es bedeutete. Als wir es ihr erklärten, antwortete sie fröhlich: »Na, dann kannst du es eben bei der Gartenarbeit anziehen.«
Neben der Tatsache, dass sie als Mennonitin geboren wurde, was eine ganz eigene Ästhetik mit sich bringt, hat meine Mutter keinen Hals. In meiner Jugend war der Kopf unserer Mutter, der wie ein freundlicher Salatkopf direkt aus ihren Schultern sprießt, so etwas wie der Mittelpunkt der Familie. Wir nahmen jede Gelegenheit wahr, ihn mit Hüten und Baseballmützen zu bewerfen, und brachen anschließend in skrupelloses Gelächter aus. Mom lachte gutmütig mit, aber wenn wir es übertrieben, prophezeite sie finster, dass sich auch bei uns die Loewen-Gene irgendwann durchsetzen würden.
Und das taten sie. Obwohl ich persönlich einen Hals habe und glücklich darüber bin, war ich bis Anfang vierzig der Inbegriff blühender Loewenscher Gesundheit: rotwangig, immun gegen Keime, stark wie ein Ochse. Ich war fast nie krank. Und just in dem Jahr, bevor die Haupthandlung dieser Geschichte beginnt, hatte ich mir eine körperliche Unpässlichkeit zugezogen – ich weigere mich, von Krankheit zu sprechen –, die so gravierend war, dass ich dachte, ich hätte statistisch gesehen für die nächsten Jahre ausgesorgt.
Ich war damals zweiundvierzig, und mein Arzt riet mir zu einer radikalen Salpingo-Oophorektomie. Für diejenigen von Ihnen, die die Menopause noch vor sich haben, heißt das übersetzt: »Die Gebärmutter muss raus.« Ein feierlicher Ernst lag in der Luft, als der Arzt das Thema Hysterektomie ansprach.
Ich fragte: »Sie meinen, meine ganze Gebärmutter kommt in die Tonne? Mit Eileitern und allem Drum und Dran?«
»Ich fürchte ja.«
Einen Moment überlegte ich. Ich wusste, ich müsste eine Art feministischer Empörung spüren. Aber da war nichts. »Na gut.«
Mit Grabesstimme sprach Dr. Mayler von einer Selbsthilfegruppe. Ich hörte an seinem Ton, dass ich unter einem tiefen Verlustgefühl und unter der kosmischen Ungerechtigkeit leiden müsste, dass mir so etwas mit zweiundvierzig passierte anstatt mit – was? – sechsundfünfzig? Pflichtbewusst notierte ich mir die Adresse der Selbsthilfegruppe, für den Fall, dass ich meine wahren Gefühle mal wieder verdrängte. Vielleicht würde mir der Ernst der Salpingo-Oophorektomie mit Verzögerung bewusst werden. Mit zweiundvierzig wusste ich, dass die Verdrängung von Tatsachen eine meiner bevorzugten Verarbeitungsstrategien war. Die großen Lektionen des Lebens kamen bei mir mit Verspätung an. Ich bin schon immer ein Spätzünder gewesen. Bei mir fällt der Groschen langsam. Der Postmann muss zweimal klingeln, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Mein Mann, der sich zwei Wochen nach unserer Hochzeit einer Vasektomie unterzogen hatte, befürwortete die Gebärmutterentfernung. »Mach es«, drängte er. »Wozu brauchst du das Ding überhaupt? Du benutzt es doch nicht, oder?«
Generell lautete Nicks Devise: Wenn du etwas seit einem Jahr nicht benutzt hast, wirf es weg. Unsere Wohnungen waren immer spartanisch und ultramodern eingerichtet. Einmal überzeugte er mich, die Remise, die wir bewohnten, nur mit einem schlichten Esstisch der klassischen Moderne und drei perfekten Sitzkissen auszustatten. Sie kennen die Schublade voller Krimskrams neben dem Telefon? Bei uns enthielt sie einen einzigen musealen Kugelschreiber und einen Block handgeschöpftes Papier auf einem Tablett von Herman Miller.
Nick unterstützte also die Hysterektomie, allerdings mehr wegen seines Hangs zum vornehmen Understatement. Die Entfernung unnötiger anatomischer Teile war für ihn vergleichbar mit dem Spenden von überflüssigem Gerümpel an die Wohlfahrt. Hatten die Vorbesitzer als aufmerksames Einzugsgeschenk eine Luftmatratze mit eingebautem Bierdosenhalter in der Garage hinterlassen? Nein danke! Wir gehörten nicht zu den Leuten, die Luftmatratzen mit eingebautem Bierdosenhalter in unserer Garage lagerten – nicht weil wir etwas gegen solche Gegenstände hätten, sondern weil wir uns die freie Sicht auf den leeren Raum nicht nehmen lassen wollten. Nick
Weitere Kostenlose Bücher