FJORD: Thriller (German Edition)
er sich mal ganz, und dann …«
»Ich weiß«, gab Sigrid zu. »Und du brauchst mich auch nicht so anzufahren. Ich hab dir das im Vertrauen erzählt!«
»Hat ja auch lange genug gedauert!« Kopfschüttelnd schenkte sich Ann Christin Kaffee nach und sah zur Treppe. »Du hättest diesen Mann nie heiraten dürfen.«
»Das sagt die Richtige«, konterte Sigrid. »Wer leidet denn hier unter der Einsamkeit?«
»Ich liebe Erik und das ist der einzige Grund, warum ich überhaupt noch in Kongesanger bin«, erwiderte Ann Christin, trank einen Schluck und blickte zur Treppe. Ihre Hände zitterten plötzlich wie ihre Stimme.
Sigrid folgte ihrem Blick. »Was ist denn da oben los? Ständig schaust du hin.«
Sie zögerte. »Erik«, sagte sie dann leise, »Erik ist krank.«
»Krank? Was fehlt ihm denn?« Sigrid stand auf, doch Ann Christin hielt sie am Arm zurück. »Warum habt ihr mich nicht informiert? Immerhin ist er mein Bruder!«
»Ich weiß nicht, was ihm fehlt.« Ann Christin zuckte ratlos mit den Schultern und unterdrückte die schnell aufsteigenden Tränen. »Noah meint, er steht unter Schock. Aber wir wissen nicht, was den ausgelöst hat. Er hat Erik gestern ein starkes Beruhigungsmittel und sonst was gegeben. Sieht böse aus. Heute morgen wollte er unbedingt aus dem Bett, hat aber kein Wort gesagt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich rief Noah an, aber der war verhindert. Dann hab ich ihm zwei von meinen Schlaftabletten gegeben. Jetzt schläft er wieder wie ein Stein. Noah taucht einfach nicht auf. Ich versteh das alles nicht!«
»Oh mein Gott«, flüsterte Sigrid erschrocken und setzte sich wieder.
Jan kam ins Wohnzimmer gestürmt, mit seiner neuesten Kreation in Händen, die er den Frauen voller Stolz präsentierte. Aurora polterte hinterher. Erst nachdem Jan das gewollte Lob bekommen hatte, liefen sie zurück ins Esszimmer.
Ann Christin lächelte ihnen nach. Es war gut, dass zwei Menschen mehr im Haus waren. Dann wandte sich wieder an Sigrid. »Also, was hat Runar getan? Du schuldest mir noch eine Antwort.«
Sigrid füllte zunächst ihre Tasse, rührte lange darin herum, bevor sie erzählte. »Ach, es fing wie üblich an. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen, wenn er getrunken hat. Dann fange ich an zu meckern, und er wird aggressiv.«
»Jetzt fehlt nur noch, dass du dir die Schuld daran gibst, wenn deinem Mann die Hand ausrutscht!«, schimpfte Ann Christin. »Und was ist mit Aurora? Schlägt er das Kind auch?«
»Nein«, erwiderte Sigrid sofort, »nein … noch nie.«
»Aber du befürchtest es?«
»Heute Morgen konnte er sich kaum beherrschen. Ich stand gerade unter der Dusche, als er stockbesoffen heimkam. Bevor es eskalieren konnte, bin ich regelrecht geflüchtet. Ich wollte erst zu einer Freundin in der Nähe von Trondheim, aber die Fähre kommt nicht wegen des Nebels. Dann seid ihr mir eingefallen. Ich hoffe, er kommt nicht drauf, wo ich bin.«
»Hoffentlich nicht, solange wir alleine im Haus sind. Odin macht ein paar Besorgungen. Er braucht dafür immer ein paar Stunden. Keine Ahnung, wo der sich dann rumtreibt. Manchmal verschwindet er auch länger. Runar wird sich wohl ausmalen können, wo ihr seid.« Ann Christin stand auf und schaute, ob die Terrassentür verschlossen war. »Sicher ist sicher«, meinte sie.
Sigrid war den Tränen nahe. »Weißt du, ich hab immer gehofft, dass er sich ändern wird. Die Finger vom Alkohol lässt. Nüchtern ist er ja in Ordnung, aber …«
»In Ordnung?«, ereiferte sich Ann Christin. »Ich verstehe nicht, was du an ihm findest. Ich würde wetten, er hat nie damit aufgehört, anderen Frauen hinterher…« Verlegen brach sie ab. »Entschuldige.«
»Schon gut.« Sigrid winkte müde ab. »Ich weiß von seiner Bettgeschichte mit der Tochter vom Bürgermeister.«
»Die kriegt jeden rum«, meinte Ann Christin sichtlich erbost. »Wie sie sich beim Sommerfest an Erik geschmissen hat – ich stand keine zehn Meter entfernt! Die schert sich einen Dreck, wenn sie rollig ist. Und wann ist sie das mal nicht!«
»Na ja, Liv ist jung, hübsch, und es ist hier schon recht einsam, weißt du ja selbst. In der Stadt würde sich keiner drüber aufregen«, nahm Sigrid sie in Schutz. »Ich kenne sie seit der Schule, sie war in meiner Klasse. Es war für sie auch nie leicht, sie war immer eine Außenstehende, weil jeder …«
Ann Christin schnaubte. »Sie ist ein Flittchen! Sich an verheiratete Männer heranzumachen … egal in welchem Alter … das
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