Flamingos im Schnee
Klassenkameraden anzuhören, bei denen es hauptsächlich um einen Job bei Disney ging, zumindest während der Sommermonate. Alexa und ihr Schatten Ashley fieberten schon vor Spannung, ob man sie als eine der Cinderellas casten würde. Cam war ein bisschen neidisch, wenn sie ehrlich war, weil andere überhaupt eine Zukunft hatten. Sie wollte nicht an die Zukunft denken.
Was das Fass letztendlich zum Überlaufen gebracht hatte, war, dass niemand vom Lehrkörper »Zeremonie« richtig schreiben konnte.
Cam stieß sich vom Grund ab und tauchte nach Luft schnappend auf. Dann kletterte sie hinaus und tupfte die unerklärlichen Tränenrinnsale ab, die sich mit dem Chlorwasser, das aus ihren Haaren tropfte, vermischt hatten. Sie tupfte sie ab, statt zu wischen, weil ihre Oma einmal gesagt hatte, dass man Falten davon bekam, wenn man sich übers Gesicht rieb. Als ob . Sie lachte.
Zum Glück hatte sie sich für eine Schicht in der Küche eingetragen. Das würde eine willkommene Ablenkung sein.
Cam war gern morgens in der Küche. Eine Restaurantküche am Morgen ähnelte einem sanften, großen, gähnenden Tier. Es blinzelte, streckte sich, öffnete hier etwas, schloss anderes. Man konnte noch die einzelnen Geräusche unterscheiden, bevor der Rummel richtig losging und das Tier inmitten der Kakophonie des Kochens seinen feurigen Atem ausstieß.
Joe, der Koch, war immer als Erster da, und er und Cam waren gut aufeinander eingespielt. Keiner sprach bis mittags. Joe brauchte Zeit, bis sein Kaffee ihn in Schwung brachte, und sie genossen beide die Stille vor dem Chaos.
An diesem Morgen jedoch konnte Joe einfach nicht die Klappe halten.
»Vielleicht würze ich die Soße mit ein bisschen Estragon. Was meinst du, Cam? Eine kleine Senfnote für das Süßsaure?« Er rührte mit einem großen Holzlöffel in einem Edelstahlbottich voll von dem Zeug. Seine private Boombox dröhnte seinen Lieblingssong von Led Zeppelin dazu. Er hatte schon vor Jahren herausgefunden, wie man die säuselnde Stimmungsmusik abstellte, die durch ein ausgeklügeltes Soundsystem jede Ecke des Parks beschallte.
»Halt dich ans Rezept, Joe. Denk daran, es ist nur für eine gewisse Zeit. Damit du eine Krankenversicherung für deine Kinder hast«, sagte Cam, ohne vom Hackbrett aufzublicken. Sie schnitt eine weitere Ananas auf und teilte sie mit einem Schwung ihres Mausclub-Hackbeils in genau gleiche Hälften.
»Okay«, sagte er. »Kein Estragon.« Joe war ein begnadeter Koch, der hoffte, bald in eines der Disney-Restaurants mit einer richtigen Speisekarte aufzusteigen. Im Polynesian Hotel gab es nur Bankettbestuhlung und feste Tagesgerichte, was langweilig war – jeweils zwei Reihen bekamen dasselbe Essen –, aber immerhin schon eine Stufe besser als der Food Court im billigen All-Star-Sporthotel. Cam wollte ihn immer dazu überreden, sich für eine dieser Realityshows mit verschiedenen Küchenchefs zu bewerben, in denen man sein eigenes Restaurant gewinnen konnte, aber das Problem war, dass ihnen einfach kein richtiges Image für ihn einfiel. Er sah total durchschnittlich aus, ein Khakihosen tragender Typ aus dem Mittleren Westen, mittelgroß, mittelschwer, mittelbraune borstige Haare.
»Aber warum kannst du nicht einfach genau das sein?«, hatte Cam schon öfter argumentiert. »Der total unscheinbare Heini aus dem Mittelwesten, mit dem niemand rechnet und der alle mit seiner Genialität verblüfft.«
Sie spaltete noch eine Ananas. Ihr Hackbeil grub sich mit einem befriedigenden Knall in das Brett.
»Und, was hast du so vor diesen Sommer, Cam? Irgendwelche großen Pläne?«, fragte Joe, während er eine Anderthalb-Liter-Kanne Kokosmilch in den Bottich kippte.
»Nein, eigentlich nicht. Warum bist du heute so redselig, Joe? Ich mag den neuen redseligen Joe nicht.«
»Bin ich das? Hab ich gar nicht gemerkt. Will mich bloß ein bisschen mit dir unter- «
Bevor er ausreden konnte, platzte auf einmal die gesamte Besetzung von Spirit of Aloha in die Küche, zum Rhythmus des Tomtoms tanzend: Die Frauen wackelten mit den Hüften, und die Männer stampften kräftig den Takt dazu. Ihre Mutter trug ein Dessert vor sich her, den größten rauchenden Schokoladevulkan, den Cam je gesehen hatte, und alle brüllten im Chor: »Herzlichen Glückwunsch, Cam!«
Das war besser als jede Abschlussfeier.
»Vielen, vielen Dank euch allen!«, sagte Cam und wurde rot.
Ihre Mom überreichte ihr ein Geschenk – ein iPhone –, und dann kam jemand in einem Tigger-Kostüm auf sie
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