Flamingos im Schnee
wird?«, fragte Cam. Lily stieg gern mitten in ein Thema ein und vergaß, dass Cam nicht ständig in ihrem Gehirn wohnte, um den Anfang mitzubekommen. »Die Oberstufe? Die Winterolympiade? Der Abschlussball? Sex? Das Abendessen heute?«
»Der Tod«, antwortete Lily.
»Der Tod.« Cam dachte nach. »Na ja, ich schätze, da wird der dunkle Tunnel sein und dann das blendend weiße Licht, und man blickt von oben auf seinen eigenen Körper herunter …«
»Ich dachte, du glaubst nicht an ein Leben nach dem Tod.«
»Tu ich auch nicht«, sagte Cam. »Diese sogenannten Nah toderfahrungen sind ein neurologisches Phänomen. Ein schöner Traum, ausgelöst von einer massiven Hormonausschüttung der Hirnanhangsdrüse. Alles verursacht von Dime-thyltryptamin, nicht Gott.«
»Ach so«, erwiderte Lily enttäuscht und sah aus dem Fenster.
»Was glaubst du denn, wie es sein wird?«
»Zuerst wird es dunkel sein, denke ich. Es muss ja irgend wie dunkel werden, wenn dein Körper dichtmacht. Dann wird sich eine schimmernde Regenbogenbrücke durch die Dunkelheit wölben, Sterne werden ringsherum funkeln und dir den Weg in die Geistwelt leuchten.«
Cam grinste. »Die Geistwelt? Warte, lass mich eben meinen Traumfänger konsultieren …«
»Den Himmel«, sagte Lily. »Ich glaube, dass es einen Himmel gibt.«
Cam öffnete die Augen und starrte in die triste Tiefgarage. Vielleicht wird es Zeit, dass ich anfange, ein paar Punkte abzuhaken , dachte sie und überflog die Liste noch einmal. Da im Moment nur der letzte Punkt im Bereich ihrer Möglichkeiten lag, würde sie eben damit beginnen.
Sie rief Lily an. »Was soll ich klauen, ein Überlebens-T-Shirt von Chemo Sabe?«
»Was?« Lily klang heiser und verschlafen.
»Es steht auf der Liste.«
»Was für eine Liste?« Cam hörte Laken rascheln und das Bett quietschen, als Lily sich aufsetzte.
»Die Liste aus dem Sommerlager, weißt du nicht mehr?«
»Wieso steht Ladendiebstahl auf deiner Flamingoliste?«, fragte Lily genervt. »Außerdem sollst du nichts erzwingen, Campbell. Du sollst die Dinge einfach geschehen lassen.«
»Ich würde die Dinge gern ein wenig beschleunigen«, gab Cam zu. Sie ließ die Stirn aufs Lenkrad sinken und rollte den Kopf hin und her.
»Dann besorg mir Burts Bienenwachslippenbalsam, das ist mir gerade ausgegangen«, schlug Lily vor. Cam sah sie vor sich, wie sie mit zusammengekniffenen Augen ihre trockenen Lippen im Spiegel inspizierte.
»Sonst noch was?«, fragte sie.
»Einen Plastikflamingo vom Discounter«, kam es von Lily. »Diese Dinger, die man zur Zierde in den Vorgarten stellt.«
»Das ist eine Herausforderung.«
Cam hob den Kopf vom Lenkrad und tätschelte ihr Auto.
»Zum Bio-Supermarkt, Cumulus«, sagte sie, und los ging’s.
Z WEI
Cam mochte es, wie es bei Whole Foods roch: eine Mischung aus Sandelholz, Patschuli, Lavendel, Erde, Knoblauch und Körperausdünstungen. Der Laden gehörte zu den wenigen Orten in Florida, an denen Cam in ihrem eng anliegenden schwarzen Hoodie und den stylisch zerfetzten, ausgewaschenen schwarzen Röhrenjeans, die sie nur tragen konnte, weil der böse K. ihre üppige Samoafigur auf Größe 0 geschrumpft hatte, nicht verdächtig wirkte.
Der Bio-Supermarkt empfing Leute wie sie mit offenen Armen. Spinner mit einem Touch von Ureinwohner. Hier versuchten die Kunden, mit dem Ursprünglichen in Kontakt zu kommen. Dem Authentischen. Und sich tolerant zu geben. Also schnupperte Cam an einem aluminiumfreien Deostift, während sie eine Dose Burts Bienenwachslippenbalsam in ihre grüne Kuriertasche aus Segeltuch steckte, die mit einer Sammlung zerknitterter Aufkleber imprägniert war. Auf dem obersten stand I MAGINE, der Rest waren Slogans wie F REIES T IBET, E HE FÜR A LLE, K EIN M ENSCH IST ILLEGAL, F RIEDEN IM N AHEN O STEN, D IE GOLDENE R EGEL, G ESUNDHEITSFÜRSORGE IST EIN M ENSCHENRECHT und W O IST MEINE S TIMME? – aus Solidarität mit dem iranischen Volk, das von einem bösen Diktator um seine Wahl betrogen worden war.
Sie war der einzige Mensch in Osceola County, Florida, der sich für so etwas wie gefälschte Wahlen, Freiheit, Menschenrechte und Ähnliches interessierte. Die anderen waren zu sehr damit beschäftigt, sich fortzupflanzen, womit man hier ziemlich früh anfing. Auf dem Schulabschlussball in ihrer Highschool hatten sich drei Pärchen verlobt.
Cam war nicht zum Ball gegangen, weil es vermutlich eine Regel gab, die es untersagte, sein Auto als Partner mitzubringen, aber wenn sie dabei gewesen
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