Flamingos im Schnee
wäre, hätte sie den strahlenden Paaren Pomaika’i gewünscht, was »viel Glück« auf Hawaiianisch hieß. Denn das würden sie brauchen. Eher ein Wunder eigentlich. Falls nämlich kein Wunder geschah, würden sie allesamt als Geschiedene enden, mühsam drei Kinder mit einem Stundenlohn von zwölf Dollar aufziehen und das Heer der in Wohnwagenparks lebenden, Schrottmühlen fahrenden, im Ein-Dollar-Laden einkaufenden, Junkfood essenden Diabetiker vergrößern, das den fröhlichen Sonnenscheinstaat bevölkerte.
Aber vielleicht schafften sie es ja auch. Cam hoffte es für sie. Vielleicht waren sie anders.
Sie steckte eine Packung Calendulawurzel in die Tasche ihrer Sweatjacke. Sie wusste noch nicht mal, was das war, aber es hörte sich so toll an, Ca-len-du-la-wur-zel. Sobald sie zur Tür raus war, würde sie gleich etwas davon schlucken.
»Entschuldigen Sie?«, flötete es hinter ihr.
Cam zuckte zusammen. War sie schon aufgeflogen?
Sie drehte sich um und stand vor einer typischen Bioladenkundin: um die fünfzig, graue Haare zu einem lockeren Knoten geschlungen, blaue Augen, ungeschminkt, Schlabberhosen, Clarks, Einkaufsbeutel aus Biobaumwolle. Immer mehr ehemalige Collegeprofessoren und Sozialarbeiter zogen in diese Gegend, weil sie sich als Rentner nichts Besseres mehr leisten konnten.
»Ja?«, sagte Cam und spielte nervös mit dem Päckchen Calendulawurzel in ihrer Tasche.
»Wer schneidet Ihnen die Haare?«
»Äh, meine Haare?«
»Ja, die Frisur ist toll.«
Cam trug ihre dicken schwarzen Haare kurz. Sie rasierte sie mit dem alten elektrischen Haarschneider ihres Vaters ab, der auf zweieinhalb Zentimeter eingestellt war. »Das mache ich selbst«, erwiderte sie.
»Steht Ihnen wirklich gut, Sie haben so ein hübsches Gesicht«, meinte die typische Bioladenkundin, während sie Ballaststoffkapseln in den vorderen Korb ihres Einkaufswagens legte.
»Danke«, sagte Cam und wartete, bis die Frau um die Ecke war, bevor sie eine winzige Packung chlorfrei gebleichter Naturtampons in den Aufschlag ihrer Jeans schob.
Das hatte sie schon öfter zu hören bekommen: »So ein hübsches Gesicht.« Wie sie das hasste. Prä-K. war das der Code für »Schade, dass sie so dick ist« gewesen. Jetzt bedeutete es: »Was für eine Verschwendung, so eine hübsche Lesbe.«
Es machte Cams Mutter wahnsinnig, dass sie sich nach der Chemo die Haare nicht wieder wachsen ließ. Ihre Mom glaubte, dass lange Haare eine Kraftquelle waren. Außerdem würde Cam ohne lange Haare nie in der Aloha-Show tanzen dürfen. Ohne lange Haare blieb sie in die Küche im hinteren Teil des Hotels verbannt, wo sie als Hilfsköchin Ananasschiffchen für den polynesischen Reis schnitzte.
»Du hast immer noch Perry«, sagte Cam dann jedes Mal zu ihrer Mom. »Sie kann doch eines Tages mit dir tanzen.«
»Ha!« Ihre Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Und als Hulatänzerin – eigentlich eine Italoamerikanerin aus New Jersey – hatte sie sehr ausdrucksvolle Hände. Alicia hatte Cams Vater in New York kennen gelernt, als sie beide Anfang zwanzig waren und in Clubs und gelegentlich am Broadway tanzten. Sie hatte Unterricht in polynesischem Tanz genommen, um häufiger mit ihm zusammen sein zu können, und dann einen Lebensstil daraus gemacht.
Perry, Cams elfjährige Halbschwester, würde nie in der Aloha-Show auftreten. Sie war das Produkt eines One-Night-Stands, den ihre Mutter nach der Scheidung mit einem Mitglied vom norwegischen Pavillon im Disney-Worlds-Epcot-Themenpark gehabt hatte. Perry hatte flachsblonde Haare und einen schweren Schritt wie ein Wikinger.
»Perry kann viel«, pflegte ihre Mutter zu sagen, »aber Tanzen gehört nicht dazu.«
Cams Mom wünschte sich nicht nur, dass Cam tanzte, weil sie ihr Können an eine Nachfolgerin weitergeben wollte, sondern vor allem, weil der Tanz heilende Kräfte hatte. Zumindest für die Seele. Und Cam tanzte ja auch – es lag ihr im Blut –, aber für sich allein zuhause vor ihrem Ikea-Spiegel.
T YLER, T EAMMITGLIED VON W HOLE F OODS , scannte den Barcode auf die Pfefferminzpastillen, die sie zu bezahlen beschlossen hatte.
»Du bist ein Kassierer«, murmelte Cam und starrte auf sein grünes Namensschild mit der schäbigen weißen Schrift.
»Was?«
»Du fällst doch nicht auf diesen Scheiß rein, oder? Du bist kein Teammitglied. Sie interessieren sich nicht wirklich für dich als Person.«
»Okay, meinetwegen.«
»Disney World ist als Erstes auf diesen Trick verfallen. Sie bezeichnen ihre
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