Flamme von Jamaika
wissen, einfach alles. Jess erzählte, dass sein spanischer Herr, Fernando de Montalban, ihm auf dem Sterbebett die Freiheit geschenkt und ihn über seine Herkunft aufgeklärt habe. Doch zu allem Unglück hatte der Neffe des Mannes die Plantage übernommen und die Freilassungsurkunde des Onkels nicht akzeptiert. Daher hatte sich Jess zur Flucht entschlossen.
Trotz der immensen Gefahr war ihr Sohn nach Jamaika zurückgekehrt, um seine Mutter zu suchen. Hoch in den Bergen hatte er sie schließlich gefunden, in einem versteckten Rebellennest, das entrechteten, misshandelten und vom Tode bedrohten Menschen wie Baba Zuflucht bot. Jess war sofort in Catos Rebellenarmee aufgenommen worden, die für die endgültige Befreiung aller Sklaven kämpfte. Er besaß Mut, wie seine Mutter, und er war ein Kämpfer, wie sein Großvater, der einst aus Afrika hierher verschleppt worden war. Äußerlich hatte Jess nicht mehr viel von einem Afrikaner, er war ein
Terzerone
, der nur gut ein Drittel afrikanisches Blut in sich trug. Und doch war er trotz allem immer ein Sklave geblieben.
Babas Blick fiel auf seine kräftigen Hände, die entspannt und präzise zugleich die Zügel des Maultiers hielten. Er war ein guter Mann, der Frauen und Kinder respektierte und schützte. Von seinem Vater hatte er den strengen Gesichtsausdruck eines Engländers. Heimlich verfluchte Baba die gerade Nase, die schmaleren Lippen und die leicht schräg stehenden Augen, wurde sie doch auf diese Weise immer wieder an das Scheusal erinnert, das ihn gezeugt hatte.
Aber im Gegensatz zu William Blake und seinem Sohn Edward war Jess kein gelackter Dandy, der faul auf der Haut lag, während andere sich Hände und Füße blutig schufteten. Jess war ein harter Arbeiter, der keine Mühen scheute und seinem Herrn stets treu gedient hatte. Dass er von jesuitischen Mönchen das Lesen und Schreiben gelernt hatte und nicht nur Spanisch, sondern auch die englische Sprache beherrschte, machte sie stolz. Er war schon als Kind ein intelligenter Bursche gewesen, denn eigentlich war es Sklaven bei Todesstrafe verboten, Lesen und Schreiben zu lernen, geschweige denn sich mehrere Sprachen anzueignen.
Überhaupt handelte Jess stets weitaus überlegter als Baba. Niemals hätte er ihr die Erlaubnis erteilt, das Rebellenlager heimlich zu verlassen. Schon gar nicht für ihre blödsinnige Zauberei, wie Jess ihre Gabe nannte. Deshalb hatte sie ihm auch nichts von ihren Plänen gesagt.
Aber sie hatte es tun müssen. Sie hatte zurückkehren müssen nach Redfield Hall, um Jess zu rächen. Niemals würde ihr Sohn den Schmerz einer Mutter nachvollziehen können, der man das Kind und damit die Zukunft geraubt hatte. Eine unendliche Qual, als ob einem das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust geschnitten würde. Tausendfach würde sie William und seinen verfluchten Sohn diesen Schmerz spüren lassen!
Gedankenverloren strich sie Jess über die vernarbte Hand. Er ließ es geschehen, während er sein wendiges Maultier über die Bergkuppe und den Hang hinab in ein bewaldetes Tal lenkte.
«Die Soldaten hätten dich getötet, wenn sie dich erwischt hätten», erklärte er mit rauer Stimme. «Oder man hätte dich später gehängt.»
«Woher wusstest du überhaupt, wo ich war?», fragte Baba vorsichtig.
«Desdemona», erwiderte er knapp. «Ich habe ihr angedroht, ihre Hütte abzubrennen und sie aus dem Lager zu werfen, wenn sie mir die Wahrheit verschweigt.»
«Um Himmels willen, Jess! Wie kannst du es wagen?» Baba schlug die Hände vors Gesicht. «Sie ist eine Obeah-Zauberin. Eine heilige Frau! Was, wenn sie dich verflucht?»
«Wenn sie dich bei einem solchen Unsinn unterstützt, kann sie so heilig nicht sein», spottete er. «Du kannst von Glück sagen, dass wir dich vom Berg aus am Rand des Bananenfelds gesehen haben. Madre mio»!, stieß er wütend hervor. «Es waren Scharfschützen, Baba, die dich verfolgt haben! Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, ob dich deine alten Füße noch bis zum Wald tragen würden, bevor es zu spät sein würde!»
Plötzlich wurde Baba bewusst, dass er sich wirklich um sie geängstigt hatte. Halb drehte sie sich zu ihm um und warf ihm einen flehenden Blick zu.
«Ich werde so etwas nie wieder tun», flüsterte sie. «Ich schwöre es, bei der Seele meiner Mutter!»
«Was wolltest du überhaupt bei diesen verteufelten Weißen?»
In seiner Stimme war das ganze Unverständnis zu hören: Wie konnte man nur an den Ort seiner Qualen zurückkehren, ohne die
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