Flammen im Sand
verschleudern, war ausgeschlossen.
Mamma Carlotta wollte Geraldine gerade auf den Irrtum aufmerksam
machen, da fiel ihr auf, dass auch in ihrem Kopf die Zahl Fünf kreiste. Vor
fünf Jahren verschwunden! Wo hatte sie das nur zuletzt gehört? Sie dachte
fieberhaft nach, aber die Erinnerung wollte sich partout nicht einstellen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Ladentür, und Wilko Tadsen
trat ein. Ein groÃer, gut aussehender Mann mit dunklen, kurz geschnittenen
Haaren und einem markanten Gesicht. Er war schlank, trug eine enge Jeans, darüber
ein konservatives Jackett und ein Hemd, dem man den Designer ansah. Ein Mann,
in den sich eine Frau verlieben konnte! Und ein Mann, neben dem eine Frau wie
Marikke nur unglücklich werden konnte.
Mamma Carlotta schob sämtliche Erinnerungen beiseite und
konzentrierte sich auf die höchst brisante Gegenwart. Wie begrüÃten sich
Geraldine und Wilko? Wie sahen sie sich in die Augen? Welchen Code benutzten
sie, um sich zu sagen, was der andere verstehen, aber sonst niemandem etwas
verraten würde?
Beinahe war Mamma Carlotta enttäuscht, dass es so einfach war. Das
durchschaute ja jedes Kind! Selbst wenn Frau Kemmertöns sie nicht in das
Verhältnis von Wilko Tadsen und Geraldine Bertrand eingeweiht hätte, wäre ihr
sofort klar gewesen, dass die beiden etwas verband, was niemand wissen durfte.
Und was konnte es anderes sein als eine verbotene Liebe? Genauso hatte in ihrem
Dorf der Pfarrer die junge Nonne angesehen, bevor die beiden gemeinsam über
alle Berge gingen. Jeder Blick war eine geheime Botschaft gewesen, jede Geste
hatte sie verraten. Merkwürdig, dass zwei erwachsene Menschen, die einerseits
klug und gebildet waren, andererseits trotzdem nicht merkten, wie leicht
durchschaubar ihre verschleierten Hinweise waren!
»Marikke schickt mich«, sagte Wilko Tadsen mit einem kurzen
Seitenblick auf Mamma Carlotta. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihre
Anwesenheit ihn störte, aber Carlotta machte ebenso wenig einen Hehl daraus,
dass sie bleiben würde, solange sie nicht ausdrücklich weggeschickt wurde. Und
da sie davon ausging, dass Geraldine und Wilko sich einen Rest von Intelligenz
bewahrt hatten, der heimlichen Liebespaaren oft erschreckend schnell und
durchgreifend verloren ging, blieb sie.
»Ich soll fragen, ob du die Bluse schon geändert hast.«
Mamma Carlotta schüttelte missbilligend den Kopf. Sie war zwar nur
zur Aushilfe hier, aber dass das Modeatelier keine Ãnderungsschneiderei war,
wusste sie trotzdem.
»Noch nicht«, antwortete Geraldine und sorgte dafür, dass Mamma Carlotta
ihr Gesicht nicht sah. »Aber ich kann sie ihr vorbeibringen, wenn sie fertig
ist. Wie wärâs mit morgen Nachmittag gegen vier? Hat Marikke dann Zeit?«
Keine Frage, sie bot Wilko ein Treffen an, das merkte ein Blinder.
Immer, wenn der Pfarrer der jungen Nonne ein gemeinsames Gebet vorgeschlagen
hatte, war sein Wagen kurz darauf in einer Waldschneise zu sehen gewesen. Und
dass er dort mit der Nonne betete, hatte Mamma Carlotta keinen Augenblick
geglaubt.
»Morgen Nachmittag ist Marikke beim Arzt«, gab Wilko zur Antwort.
Aha, er teilte seiner Geliebten verblümt mit, dass die Ehefrau nicht
zu Hause sein würde und ihr Schäferstündchen nicht stören konnte.
»Macht nichts«, gab Geraldine zurück. »Ich bringe die Bluse trotzdem
vorbei. Dann kann sie sie später ganz in Ruhe anprobieren. Und wenn was nicht
passt, ändere ich sie noch einmal.«
Für Mamma Carlotta war sonnenklar, dass Wilko Tadsen am nächsten
Nachmittag seine Geliebte in seinem Haus empfangen würde. Glaubten die beiden
wirklich, dass sie nicht durchschaut wurden? Und ging Wilko Tadsen tatsächlich
davon aus, dass Mamma Carlotta seine zärtliche Geste nicht bemerkte? Und auch
nicht den Blick, den er zurückwarf, ehe er in die Werkstatt ging?
»Ich schau mal bei Yvonne rein. Die Terracottafliesen für das neue
Bad sind gekommen. Drei Sorten! Sie soll sich eine aussuchen. Jannes sagt, er
verlässt sich voll auf Yvonnes guten Geschmack.«
»Aber bitte erst nach Ladenschluss«, entgegnete Geraldine bestimmt.
»Ich kenne sie! Eine Viertelstunde braucht sie, um die Fliesen auszusuchen, und
drei Stunden, um dir was vorzujammern.«
»Ich bin nun mal Jannesâ ältester Freund. Ist doch kein Wunder, dass
sie sich bei mir ausweint. Ich kann Jannes am besten
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