Flammen im Sand
Ãberwendlichstich keine Sekunde gezögert, nachdem sie sich diese
Fachbegriffe ins Italienische übersetzt hatte.
Mamma Carlotta hatte sich gerade darangemacht, die Abnäher einer
Bluse flach zu bügeln, da öffnete sich die Tür, die vom Schneideratelier in die
Wohnräume führte, und Jannes Pedersen trat ein. Er war ein untersetzter Mann
mit kurzen GliedmaÃen und kräftiger Muskulatur. Mamma Carlotta schauderte es,
als sie sich vorstellte, wie er die Hand gegen die zarte Yvonne Perrette erhob.
Schlagartig veränderte sich die Atmosphäre im Atelier: Yvonnes Miene
wurde ängstlich, Geraldines Körperhaltung zeigte Abwehr und Trotz, die beiden
jungen Mädchen hörten auf zu kichern, und Kirsten fiel ein, dass sie eigentlich
nach Hause musste, weil die Wäsche noch in der Maschine steckte und dringend in
den Trockner befördert werden musste. Jannes Pedersen tauchte auf wie der
Störenfried bei einem Kindergeburtstag, der beim Topfschlagen nicht mitmachen
oder immer der Erste sein will.
»Na? Sind die Damen mit der Vorbereitung der Modenschau
beschäftigt?«, rief er jovial. Als die positive Resonanz ausblieb, die er
anscheinend erhofft hatte, wandte er sich an Yvonne: »Ich fahre aufs Festland.
Pidder bringt dir den Kassenschlüssel, wenn er Feierabend macht.«
»Kommst du heute Abend noch zurück?«, fragte Yvonne.
»Mal sehen.«
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, entspannte sich die
Lage spürbar. Yvonne beugte sich wieder über ihre Nähmaschine, Carolin
vertiefte sich erneut in ein Schnittmuster, und Mamma Carlotta hatte in
Windeseile sämtliche Abnäher flach gebügelt.
Geraldine ging in den Laden und warf über die Schulter zurück:
»Würde es Ihnen was ausmachen, Signora, mit mir die Sonderangebote
auszuzeichnen?«
Normalerweise hätte es Mamma Carlotta etwas ausgemacht, denn sie
fühlte sich in Yvonnes Gegenwart wohler und war vor allem der Ansicht, dass sie
für die Erledigung von Näharbeiten angestellt worden war und nicht, um
Geraldine zur Hand zu gehen, wenn die keine Lust hatte, die Waren umzuzeichnen.
Trotzdem nickte sie und folgte Geraldine bereitwillig in den Laden. An der
Schaufensterscheibe drückten sich gerade zwei Touristinnen die Nasen platt,
aber im Laden gab es keine einzige Kundin.
Geraldine Bertrand holte die Kleidungsstücke von einem Ständer, die
zu lange im Angebot waren und nun im Preis reduziert werden sollten, um doch
noch einen Käufer zu finden.
Während Mamma Carlotta mit dem Rotstift die Preise durchstrich,
brachte sie das Gespräch auf Jannes und fragte nach seiner Frau Elske.
Natürlich lieà sie kein Wort darüber verlauten, dass Marikke Tadsen ihr bereits
einiges anvertraut hatte. Es war immer gut, sich einen Sachverhalt aus zwei verschiedenen
Perspektiven schildern zu lassen. Erstens lieà sich dann der Wahrheitsgehalt
überprüfen, und zweitens konnte man die ganze interessante Sache gleich zweimal
genieÃen. Geraldine schien zwar nicht zu denen zu gehören, die so begeistert
Auskunft gaben wie Marikke Tadsen, aber sie wies Mamma Carlottas Fragen auch
nicht von sich. »Die Ehe war schon lange nicht mehr gut«, erzählte sie. »Die
beiden hatten keine Kinder, Elske interessierte sich nicht fürs Geschäft. Sie
hatten sich bald nichts mehr zu sagen.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Mamma Carlotta.
»Ich habe Elske kennengelernt«, antwortete Geraldine, »da gingen wir
beide noch zur Schule. Wir waren Brieffreundinnen. Elske lernte in der Schule
Französisch und ich Deutsch. Unsere Lehrer legten gröÃten Wert darauf, dass jeder
eine Brieffreundschaft mit einem gleichaltrigen Kind im Ausland unterhielt.«
»Sie haben sich nur geschrieben?«, fragte Mamma Carlotta
interessiert. »Nie gesehen?«
»Später haben wir uns persönlich kennengelernt. Elske war zu Besuch
in Avignon und ich auf Sylt. Na ja, und dann â¦Â«
Geraldine nahm ein Cocktailkleid genauer unter die Lupe und stellte
fest, dass eine Seitennaht sich löste. Sie brachte es in die Werkstatt, damit
es dort ausgebessert wurde.
»Und dann?«, nahm Mamma Carlotta, kaum dass sie zurückgekehrt war,
den Faden wieder auf.
»Dann hat Elske geheiratet, und ich bekam nur noch selten Post von
ihr. Und wenn, dann klagte sie darüber, dass sie keine Kinder hatte und dass
ihre Ehe immer schlechter wurde.
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