Flammen im Sand
Hätte ich Yvonne nur nicht gebeten, Elske zu besuchen,
als sie auf Sylt Urlaub machte!«
Mamma Carlotta lieà den Rotstift sinken. »Soll das heiÃen ⦠Ihre
Schwester hat Elske Pedersen den Mann ausgespannt?«
Geraldine bedachte sie mit einem Blick, unter dem Mamma Carlotta ein
weiteres Mal an sofortige Kündigung dachte. Aber da sie dann nie das Ende
dieser interessanten Geschichte erfahren hätte, verzichtete sie auch diesmal
darauf, Geraldine und damit vor allem sich selbst zu bestrafen.
»Yvonne würde so was nie tun«, fuhr Geraldine fort. »Nein, nein, als
sie auf Sylt ankam, war Elske gerade verschwunden. Jannes war verzweifelt, weil
seine Frau ihn sang- und klanglos verlassen hatte. Jedenfalls tat er so, als
wäre es schwer für ihn, über den Verlust hinwegzukommen.«
»Sie glauben nicht daran?«, fragte Mamma Carlotta schnell, damit
Geraldine Gelegenheit hatte, diesen unterhaltsamen Aspekt ein wenig zu
vertiefen.
Aber leider wollte sie sich derart konkret nicht äuÃern, sie fuhr
einfach fort, als hätte sie Mamma Carlottas Frage nicht gehört. »Ich kann Elske
verstehen. Jannes ist kein Mann, mit dem man über Trennung, Vermögensausgleich
und Unterhalt reden kann. Der wäre ausgerastet, wenn Elske ihm damit gekommen
wäre. So hat sie es vorgezogen, einfach ihre Sachen zu packen und bei Nacht und
Nebel zu verschwinden. Nur einen Brief hat sie Jannes zurückgelassen. Er soll
nicht nach ihr suchen.« Geraldine stieà ein kurzes Lachen aus. »Hätte er
sowieso nicht getan! Warum sollte er sich darum reiÃen, sein Vermögen mit Elske
zu teilen und ihr Unterhalt zu zahlen?«
Mamma Carlotta war zufrieden. Was Marikke ihr erzählt hatte, stimmte
haargenau mit dem überein, was Geraldine zu berichten hatte. Yvonne hatte Elske
besuchen wollen, aber nur Jannes vorgefunden, als sie auf Sylt angekommen war.
Und anscheinend hatte sie den verlassenen Ehemann so lange getröstet, bis er
ihr anbot, auf Sylt eine Schneiderwerkstatt einzurichten.
»Wie gut, dass Madame Perrette eine Schwester hat, mit der sie reden
kann«, sagte Mamma Carlotta diplomatisch. »Eine unglückliche Beziehung ist viel
leichter zu ertragen, wenn man jemanden hat, dem man sein Herz ausschütten
kann.«
»Sie hat sich auf Jannes eingelassen«, gab Geraldine zurück, »und
muss nun sehen, dass sie mit ihm klarkommt.« Sie grinste spöttisch. »AuÃerdem
hat sie ja Wilko, um sich auszuweinen. Der kennt Jannes am besten, von dem
fühlt Yvonne sich verstanden.«
»Wilko Tadsen? Der mit der Frau verheiratet ist, die im Rollstuhl
sitzt?«
Nun wurde Geraldine ernst, Spott und Zynismus fielen von ihr ab.
»Der hat es genauso schwer mit seiner Frau wie Yvonne mit Jannes. Kein Wunder,
dass Yvonne sich ständig bei Wilko ausheult.« Sie lieà das Kleidungsstück
sinken, das sie gerade zur Hand genommen hatte, und sah nachdenklich vor sich
hin. »Vier Jahre sind wir nun schon auf der Insel, Yvonne und ich«, seufzte
sie. »Im nächsten Jahr müssen wir unbedingt das fünfjährige Bestehen des
Modeateliers groà feiern.« Ohne Mamma Carlotta anzusehen, fügte sie an: »Falls
Yvonne es noch so lange bei Jannes aushält.« Ihr Blick wurde plötzlich blind,
ihre Augen starrten das nächste Kleidungsstück an, ohne es zu sehen. »Fünf
Jahre!«, murmelte sie und schüttelte den Kopf.
Eigentlich wollte Mamma Carlotta gerade auf den skandalösen Teil der
Erzählung, auf Jannesâ Gewalttätigkeit, eingehen, da fiel ihr auf, dass
Geraldine in Gedanken weit weg war. Sie schien vergessen zu haben, dass sie
Hilfe beim Auszeichnen hatte, strich mit ihrem dicken Rotstift energisch die
Zahl zweihundertvierzig durch und setzte eine Fünf daneben. Entgeistert sah
Mamma Carlotta zu, wie Geraldine Anstalten machte, den Pullover, der mal zweihundertvierzig
Euro kosten sollte, zum unglaublichen Sonderpreis von fünf Euro ins
Schaufenster zu legen. »Fünf?«, fragte sie ungläubig.
»Ja, ja, fünf Jahre«, antwortete Geraldine zerstreut. »Vor fünf
Jahren ist Elske abgehauen, und ein Jahr später haben Yvonne und ich das
Modeatelier eröffnet.«
Fünf! Welche Bedeutung hatte diese Zahl für Geraldine Bertrand? Sie
schien plötzlich an nichts anderes zu denken als an die Fünf. Dass sie wirklich
die Absicht gehabt hatte, den Pullover für fünf Euro zu
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