Flammen im Sand
Gegenständen ohne schreckliche Folgen
bleiben würde. Erik war froh darüber. Gewissenhaft zählte er vier Esslöffel in
die Schokoladencreme, ohne sich von den nervösen Händen seiner Schwiegermutter
antreiben zu lassen, der das alles viel zu langsam ging. Sie hätte vermutlich
einen kräftigen Schuss in die Creme gegeben und später behauptet, das seien
höchstens dreieinhalb Esslöffel gewesen. Mit genauem Abmessen und Wiegen hatte
sie sich noch nie abgegeben.
Energisch schob sie Erik zur Seite, nahm ihm die Flasche aus der
Hand und fügte der Creme noch einen weiteren Schuss Rum hinzu. »Du hast die
Löffel nicht richtig voll gemacht.«
Erik wollte protestieren, aber da ihm klar wurde, dass es zu spät
war, weil der Rum längst in der Creme war, lieà er sich neben Sören am
Küchentisch nieder und wartete darauf, dass das Essen fertig wurde.
»Wieso seid ihr überhaupt schon so früh zu Hause?«, fragte Mamma
Carlotta nervös, die die Familie am liebsten mit einem fertigen Essen
erwartete, das nur noch auf den Tisch gestellt werden musste. »Sonst bist du
immer sehr beschäftigt, Enrico, wenn es einen neuen Mordfall gibt! Aber wenn
ein Opfer schon so lange tot ist, hat die Aufklärung wohl keine Eile?«
Erik zuckte mit den Schultern. »Wir kommen nicht recht weiter«, gab
er dann zu und blickte zum Küchenfenster, damit er nicht zusehen musste, wie
Mamma Carlotta der Schokoladencreme einen weiteren Schuss Rum hinzufügte. »Es
gibt keine Person, die vor vier bis sechs Jahren als vermisst gemeldet wurde.«
»Vier bis sechs Jahre«, wiederholte Mamma Carlotta nachdenklich.
Dann fuhr sie derart heftig herum, dass Erik und Sören sie erschrocken
anstarrten. »Man könnte auch sagen ⦠cinque anni? Ich meine ⦠fünf Jahre?«
Erik nickte. »Ungefähr vor fünf Jahren wurde die Frau in List
verscharrt. So genau lässt sich das nicht mehr sagen. Dr. Hillmot
hat es uns doch gestern erklärt.«
Von Carlotta war plötzlich die Eile abgefallen. »Jetzt weià ich,
woran es mich erinnert hat, was Geraldine Bertrand mir erzählt hat. Und Marikke
Tadsen auch.«
Erik hätte gern gefragt, wie die Bekanntschaft zwischen Mamma
Carlotta und Marikke Tadsen zustande gekommen war, aber da ihm selten ein
Einwurf gelang, wenn seine Schwiegermutter eine Neuigkeit loswerden wollte,
machte er gar nicht erst den Versuch, dahinterzukommen.
»Wie kannst du sagen, Enrico, dass vor fünf Jahren keine Frau
vermisst wurde? Ich weià von einer Frau, die vor fünf Jahren verschwand! Man
hat nie wieder etwas von ihr gehört.«
Erik starrte in ihre sprühenden Augen, in ihr Lächeln, das eine
Frage anlocken wollte, und fühlte, wie der Ãrger in ihm aufstieg. Einerseits
kam es ihm zwar entgegen, wenn sie nicht gleich mit der Pointe herausplatzte,
dann hatte er Zeit, ihren schnellen Gedanken hinterherzukommen, andererseits
konnte er die Dramaturgie ihrer Erzählungen nicht leiden und verbot es sich,
die Spannung zu zeigen, die sie erzeugen wollte, indem sie den Höhepunkt
absichtlich hinauszögerte.
»Willst du uns sagen, um wen es sich handelt«, fragte er so
gleichmütig wie möglich, »oder lieber erst nachsehen, ob das Ravioli-Gratin
schon fertig ist?«
Aber Mamma Carlotta schien das Mittagessen gleichgültig zu sein. Und
das machte Erik stutzig. Was sie zu sagen hatte, schien wirklich wichtig zu
sein.
»Elske Pedersen!«, brach es aus Mamma Carlotta hervor. »Hast du etwa
nie von ihr gehört, Enrico?«
Sören winkte schon ab, ehe Erik es tun konnte. »Es geht um eine
Frau, die vermisst gemeldet wurde, Signora. Den Fall Elske Pedersen kenne ich.
Die ist nicht verschwunden, die hat ihren Mann verlassen. Also wurde sie auch
nicht als vermisst gemeldet.«
»Das behauptet er!«, gab Mamma Carlotta zurück. »Aber stimmt das
auch? Diesem fürchterlichen Jannes Pedersen traue ich alles zu. Wer seine Frau schlägt,
bringt sie womöglich auch um.«
Erik sah erstaunt zwischen Sören und Mamma Carlotta hin und her.
»Jannes Pedersen hat seine Frau geschlagen?«
»Und seine Lebensgefährtin hat er auch schon verprügelt«, antwortete
Mamma Carlotta.
Erik starrte Mamma Carlotta mit offenem Munde an. Wie um alles in
der Welt erfuhr sie in wenigen Tagen etwas, wovon er selbst nach vielen Jahren
nichts wusste?
Sören übernahm es, Mamma
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