Flammen im Sand
Carlotta aufzuklären. »Elske Pedersen hat
einen Brief hinterlassen. Daraus ging hervor, dass sie ihren Mann verlassen
wollte. Sie hat alles mitgenommen, was ihr wichtig war, und ist gegangen.« Nun
hob er sogar den Zeigefinger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
»Freiwillig!«
»Wer sagt, dass das stimmt?«, fragte Mamma Carlotta hitzig.
»Hat jemand den Brief gesehen?«, mischte Erik sich ein.
Sören nickte. »Ich selbst natürlich nicht. Aber ich habe gehört,
dass Pedersen ihn rumgezeigt hat. Im Freundeskreis und unter seinen
Mitarbeitern. Mein Vater hat damals gerade ein Fahrrad bei ihm gekauft. Er hat
mir erzählt, dass Wilko Tadsen in den Laden kam und Jannes ihm den Brief
gezeigt hat.«
Anhaltendes Schrillen unterbrach ihr Gespräch. Felix hatte mal
wieder seinen Schlüssel vergessen und den Daumen auf die Klingel gesetzt, damit
hinter der Haustür alles so schnell wie möglich in Bewegung geriet. Während
Mamma Carlotta im Flur deswegen ausgiebig mit ihm schimpfte, flüsterte Sören
seinem Chef zu: »Vielleicht sollten wir der Sache wirklich nachgehen.«
»Haben Sie jemanden in Verdacht?«, fragte Erik ebenso leise.
»Glauben Sie, dass der Brief gefälscht war?«
Sören schüttelte den Kopf. »Vielleicht gibt es ihn noch, dann können
wir das überprüfen. Aber selbst wenn es ihn gibt â ist er ein Beweis? Es mag ja
sein, dass Elske Pedersen tatsächlich die Absicht hatte, ihren Mann heimlich zu
verlassen, und deswegen den Brief geschrieben hat. Aber er hat sie vielleicht
dabei erwischt, als sie sich mit Sack und Pack aus dem Haus schleichen wollte.
Und dann â¦Â«
»â¦Â dann hat er ihr den Schädel eingeschlagen?«, fragte Erik ungläubig.
»Warum sollte er das tun?«
»Wut! Gekränkte Eitelkeit! Jähzorn! Jannes Pedersen ist einer, dem
ich das zutraue. Wir sollten uns im Kommissariat mal seine Akte ansehen. Der
hat einiges auf dem Kerbholz.«
Die beiden verstummten schlagartig, als Felix in die Küche stürmte.
Mamma Carlotta folgte ihm, während sie lauthals forderte, dass eine
Kopfbedeckung an den Garderobenhaken gehöre, und Felix sein Käppi ebenso
lauthals verteidigte.
»Felice! Du wirst nichts vom Ravioli-Gratin bekommen, wenn du nicht auf
deine Nonna hörst!«
Aber Felix lachte nur und stimmte sogar feixend ein, als sie
sämtliche Heiligen anrief, die für die Besserung missratener Kinder zuständig
waren. Vor lauter Eifer nahmen beide nicht zur Kenntnis, dass Carolin mit einem
leisen »Moin« die Küche betrat.
Erik atmete auf. Wie froh war er doch, dass seine Tochter vom
Erbteil ihrer italienischen Vorfahren verschont geblieben war! Angesichts
dieser erfreulichen Tatsache war es gar nicht so schlimm, dass sie schon wieder
darauf zu sprechen kam, wie einfallslos sein Bekleidungsstil sei und wie
dringend eine fachkundige Hand sich um seine Garderobe kümmern müsse.
Mamma Carlotta pflichtete ihrer Enkelin bei, obwohl Erik sicher war,
dass sie die Farbe Lila am Körper eines Kriminalhauptkommissars so unpassend
fand wie er selbst. Aber sie pflichtete ihren Enkeln grundsätzlich bei, weil
Kinder in allem bestärkt werden mussten, was nicht ausdrücklich pädagogisch
unerwünscht war. Erik sagte nichts dazu. Hauptsache, seine Schwiegermutter
hatte das Verschwinden von Elske Pedersen und die Entdeckung des Skeletts
vergessen. Damit sich daran nichts änderte und sie sich keine Hoffnungen
machte, dass ihr Hinweis der Polizei eventuell zweckdienlich gewesen sein
könnte, sagte Erik zu Sören, als sie nach dem Essen das Haus verlieÃen: »Dann
wollen wir uns mal um die geschmuggelten Luxusuhren kümmern.«
»Einverstanden, Chef!«, gab Sören zurück, der allmählich zu lernen
schien, wie mit einer italienischen Schwiegermutter am leichtesten umzugehen
war.
Carolin hatte die Mittagspause dazu genutzt, den
konventionellen Schnitt von Herrenhemden zu revolutionieren, damit Sören
demnächst etwas am Leibe hatte, was ihn aus dem blau-weià gestreiften Heer der
Oberhemdenträger heraushob. Seit sie sich selbst auf Yvonnes Anraten einen
gelben Wollstoff gekauft hatte, um daraus einen Minirock zu nähen, ging sie mit
ihren Mitmenschen plötzlich so um wie früher ihre Mutter mit ihr. Lucia hatte
ihre Tochter mehrmals täglich angefleht, andere Farben als Grau, Beige und
Jeansblau an sich
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