Flammen im Sand
beurteilen.«
Auch dass Geraldine kurz die Lippen spitzte, ehe Wilko verschwand,
entging Mamma Carlotta nicht. Dilettanten waren die beiden! Blutige Anfänger!
Da waren ja der Pfarrer und die Nonne um Klassen besser gewesen, obwohl man den
beiden weit weniger Ãbung unterstellen durfte!
Mittlerweile passierte Mamma Carlotta die ersten Häuser
Wenningstedts. Aber da die NorderstraÃe sehr breit war und die Häuser alle sehr
niedrig waren, boten sie kaum Schutz vor dem Wind. Mamma Carlotta fasste die
Einfahrt zum Süder Wung fest ins Auge, um nicht ihr Ziel und die Motivation zu
verlieren, und überlegte währenddessen, ob sie Marikke Tadsen raten sollte, am
nächsten Nachmittag auf den Besuch bei ihrem Arzt zu verzichten.
Doch noch ehe sie diese Entscheidung getroffen hatte, fiel ihr ein,
dass sie vergessen hatte, Geraldine auf den Pullover aufmerksam zu machen. Ob
der mittlerweile für fünf Euro verkauft worden war, weil eine Kundin darauf
bestanden hatte, nicht mehr als den Preis zu bezahlen, der dick mit Rotstift
auf dem Etikett stand?
Aber Mamma Carlottas Schuldgefühle waren schnell bewältigt. Das
hatte Geraldine nun davon, dass sie in Gedanken bei ihrem Geliebten gewesen
war! Und da sie seiner bedauernswerten Ehefrau den Mann wegnahm, geschah ihr
dieser finanzielle Verlust auch ganz recht. Dass er eigentlich die
Ladenbesitzerin traf, die mit einem prügelnden Lebensgefährten eigentlich schon
genug gestraft war, vergaà Mamma Carlotta der Einfachheit halber. Seit jeher
gelang es ihr, mit simplen Mitteln nicht an der Ungerechtigkeit der Welt zu
verzweifeln.
Zwei Schulkinder überholten sie, tief über die Fahrradlenker
gebeugt. »Windstärke fünf!«, schrie der eine, und der andere brüllte gegen den
Wind zurück: »Das ist doch nur ein laues Lüftchen!«
Fünf! Da war sie schon wieder, die magische Zahl. Vor fünf Jahren
hatte Elske Pedersen ihren Mann verlassen und war seitdem nie wieder gesehen
worden. Aber was hatte das mit Carlotta Cappella zu tun? Nichts! Eigentlich â¦
Erik sah seine Schwiegermutter besorgt an, als er in die
Küche trat. »Du siehst abgehetzt aus. Warst du wieder den ganzen Morgen im Modeatelier?«
Mamma Carlotta nickte flüchtig. Ihr selbst schien die Eile weit
weniger auszumachen als Erik, dem schwindelig wurde, während er beobachtete,
wie sie zwischen Tisch, Herd und Spüle hin und her hetzte, den einen Handgriff
noch nicht erledigt hatte, während sie schon mit dem zweiten begann, und mit
der Linken eine Tomate vom Boden aufhob, während sie mit der Rechten an den
Schaltern des Herdes herumdrehte.
»Wir haben heute das Umkleiden geübt. Damit es hinterher bei der
Modenschau reibungslos klappt! Und dann habe ich noch beim Nähen geholfen! Und
beim Umzeichnen der Waren auch!«
Erik betrachtete sie lächelnd und Sören sogar mit unverhohlener
Bewunderung. Wie hielt sie nur dieses Tempo aus?
Die Auflaufform mit dem Ravioli-Gratin landete derart schwungvoll im
Backofen, dass Erik hören konnte, wie sie an dessen Rückseite schlug. Der
Kabeljau hatte auch nichts zu lachen, als er so grob aufgespieÃt wurde, als
sollte ihm langes Leiden erspart bleiben. Erik konnte gar nicht hinsehen, wie
Mamma Carlotta mit den gefährlichen SpieÃen hantierte.
Sören schien es genauso zu gehen. »Passen Sie auf, Signora! Dass Sie
sich nur nicht verletzen!«
Aber Mamma Carlotta winkte ab. »Fisch-Tomaten-SpieÃe habe ich schon
hundertmal gemacht. Nie habe ich mich dabei verletzt.«
Tatsächlich ging auch diesmal alles gut. Erik und Sören atmeten
erleichtert auf, als die SpieÃe mit den Kabeljaustücken, den Cocktailtomaten,
Scampi und Zucchinischeiben in der Pfanne schmurgelten und Mamma Carlotta sich
an die relativ risikolose Aufgabe machte, die Sahne für die Schokoladencreme zu
schlagen. »Holst du den Rum, Enrico? Vier Esslöffel brauche ich.«
Erik runzelte die Stirn. »Alkohol? Auch für die Kinder?«
»Das ist kein Alkohol, das ist in diesem Fall Würze. Die
Schokoladencreme schmeckt ohne Rum nur halb so gut.«
Erik gab sich geschlagen und ging ins Wohnzimmer, um nach der
Rumflasche zu suchen. Als er in die Küche zurückkehrte, hatte Sören sich
angeboten, die Zartbitterschokolade zu reiben. Anscheinend mochte sein
Assistent nach wie vor nicht darauf vertrauen, dass bei Mamma Carlottas Tempo
das Hantieren mit spitzen und scharfen
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