Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
später Rachegefühle hervor.
Er schlief wenig und unruhig. Um sechs Uhr weckte ihn das Tageslicht, und er stand auf. Sofern er jemanden für die Aufgabe finden wollte, musste er das bis zum Abend erledigt haben, genau genommen sogar schon, bevor er seinen Dienst antrat.
Er dachte an zwei Einbrecher, die er kannte. Beide würden im ungünstigsten Falle unterwegs sein, und ganz sicher würde es sehr schwierig sein, sie zu überreden. Er zog seine ältesten Kleidungsstücke an, um in dem Gassengewirr, das er aufsuchen
wollte, nicht aufzufallen, und machte sich auf den Weg in den Osten der Stadt.
An einem Stand in der Hackney Road kaufte er ein Schinkenbrot und ging dann weiter südwärts in Richtung Shipton Street. Er wusste, wo er Pricey – wenn überhaupt – finden konnte, der diesen Spitznamen schon trug, bevor Tellman ihn kennen gelernt hatte. Ob er sich aus seinem wirklichen Namen herleitete oder ein Hinweis auf die überhöhten Beträge war, die er seinen Auftraggebern für gesetzwidrige Dienstleistungen abknöpfte? Tellman hatte ihn jedenfalls nie festgenommen; das war eine günstige Ausgangsbasis für sein jetziges Vorhaben.
Pricey, der wohl die ganze Nacht unterwegs gewesen war, schlief noch, als er an dessen Tür klopfte. Er wohnte im obersten Stockwerk am hinteren Ende eines stillen Hofes, der mit unregelmäßigen Steinen gepflastert war. Hätte Tellman weniger dringend Hilfe benötigt, die Umgebung hätte ihn möglicherweise beunruhigt, obwohl es inzwischen vollständig hell war.
Nach wenigen Minuten verlangte eine missmutige Stimme zu wissen, wer da sei.
»Oberwachtmeister Tellman«, gab er zur Antwort. »Ich brauche jemanden, der mir einen Gefallen tut, und bin auch bereit, dafür zu zahlen.« Es empfahl sich nicht, um den heißen Brei herumzureden, ganz davon abgesehen, dass dafür nicht genug Zeit war.
Ein Riegel wurde zurückgeschoben, dann noch einer, und langsam öffnete sich die gut geölte Tür lautlos. Pricey stand barfuß in einem blau-weiß gestreiften Nachthemd auf dem Dielenboden vor ihm. Eine Nachtmütze bedeckte den größten Teil seiner glatten schwarzen Haare. Sein Gesicht wirkte nicht nur verdrießlich, sondern zugleich sonderbar traurig. Als er sah, dass Tellman nicht wie sonst einen ordentlichen Anzug und ein weißes Hemd trug, sondern in unauffälliges Grau gekleidet war, kam der Ausdruck von Neugier hinzu.
Tellman trat ein und schloss die Tür hinter sich. Da er schon einmal dort gewesen war, wusste er, wo die Küche lag, der einzige
Raum, in dem Stühle standen, sodass man sich setzen konnte. Wenn er Glück hatte, würde ihm Pricey vielleicht sogar eine Tasse Tee anbieten. Das salzige Schinkenbrot hatte ihn durstig gemacht.
»Da brat mir doch einer ’nen Storch«, sagte Pricey. »Was woll’n Se denn so früh hier, Mr Tellman? Das muss ja was ganz Wichtiges sein.«
»Ist es auch«, gab Tellman zurück und setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl, der auf dem unebenen Boden sogleich zu wackeln begann. »Ich brauche jemanden, der belastendes Material findet und an sich nimmt. Ich nehme an, dass es sich in einem bestimmten Haus befindet, wahrscheinlich in einem Panzerschrank oder einer abgeschlossenen Tischschublade.«
»Und woran erkenn ich das, wenn’s da is?«, fragte Pricey und verzog zweifelnd das Gesicht.
»Da liegt der Hase im Pfeffer«, sagte Tellman. »Ich muss im Laufe des Tages mehr darüber herausbekommen und sage Ihnen Bescheid, bevor Sie sich aufmachen. Ich muss Sie an einer Stelle treffen, wo uns niemand sieht.«
Pricey dachte über den Vorschlag nach und sah Tellman aufmerksam an. »Um was für Material geht’s denn da? Wieso mach’n Se das auf de heimliche Tour, statt sich’s einfach zu hol’n? Se sin’ doch bei der Polizei. Wer hat das, un was woll’n Se damit? Wenn Se mich frag’n, stinkt die Sache, sons’ würd’n Se das einfach so mach’n, käm Se ja auch billiger. Umsons’ arbeit ich nämlich nich. Wer zahlt? Sie oder de Polizei?«
Es war Tellman klar, dass er sich aus der Sache nicht mit einer Lüge herauswinden konnte. Damit würde er Pricey, der sehr auf seinen Stolz bedacht war, nur kränken.
»Ja, das Unternehmen ist sehr gefährlich«, gab Tellman offen zu. »Ich möchte nicht, dass jemand davon erfährt, und schon gar nicht die Polizei.«
Pricey war unübersehbar verblüfft. »Ich hatt’ Se immer für ’n ehrlich’n Polyp’n gehalt’n. Da schlag einer lang hin! Das hätt’ ich nie geglaubt. Se enttäusch’n mich.«
»Sie
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