Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
vier Beine und einen Schwanz, gähnte ausgiebig, öffnete und schloss mehrfach die Augen und begann zu schnurren. Pitt nahm an, dass das Kätzchen etwa zwölf bis vierzehn Wochen alt war.
Kydd nahm es mit einer Hand auf und liebkoste es geistesabwesend. »Der Kognak ist da drüben.« Er wies auf einen Schrank an der Wand. »Jetzt kriegt erst mal Mite was zu essen. Sie war den ganzen Tag allein.« Er nahm ein kleines Stück Fleisch aus der
Tasche und schnitt es in Stücke. Die Katze entriss sie ihm fast, bevor er damit fertig war, und schnurrte so laut, dass es wie eine Rassel klang.
Pitt öffnete den Schrank. Außer dem Kognak sah er darin mehrere Gläser und Becher. Er nahm zwei und goss kleine Portionen ein, weil nicht viel in der Flasche war. Er leerte sein Glas mit einem Schluck und stellte das andere für seinen Retter auf das Tischchen.
»Wer war das?«, fragte er.
»Die Leute auf dem Kahn?« Kydd legte das Kätzchen zurück auf den Sessel und nahm sein Kognakglas. »Vermutlich Flussräuber. Was wollten Sie da überhaupt in drei Teufels Namen?«
»Woher wussten Sie, dass ich da sein würde?«, fragte Pitt zurück.
Mite wetzte ihre Krallen, kletterte langsam an Kydds Bein und Rücken empor und legte sich ihm auf die Schulter. Er zuckte zusammen, ließ sie aber gewähren.
»Ich hab das nicht gewusst. Aber ich habe gesehen, dass Voisey auf jemanden wartete. Sagen wir, intelligent geraten«, gab er zur Antwort.
»Sie sind mir gefolgt?« Pitt sah den Mann mit den blauen Augen und den hohen Wangenknochen aufmerksam an.
Kydds Miene wurde ernst. »Mir geht es darum zu erfahren, wer Magnus umgebracht hat. Ich muss wissen, dass es keiner von uns war. Falls doch, mache ich den mit eigenen Händen kalt.«
Die Dinge wurden allmählich klarer. »Sie sind also tatsächlich der Mann aus Landsboroughs Gruppe, der nach Magnus’ Tod die Führung übernommen hat«, sagte Pitt, der sich an das Gespräch erinnerte, in dem Carmody den Namen Kydd genannt hatte.
Unbeeindruckt wiederholte Kydd: »Wer hat Magnus getötet? Haben Sie das noch nicht rausgekriegt? Jemand hat ihn verraten. War es sein Vater?«
»Sein Vater?«
»Er war mehrfach da, um mit ihm zu sprechen. Wollte ihn überreden, seine Überzeugungen über Bord zu werfen und in
den Schoß der Gesellschaft zurückzukehren.« Auf Kydds Gesicht lag unverkennbar Belustigung. In seiner Stimme mischte sich Schmerz mit Zorn. Geistesabwesend hob er die Hand und liebkoste das Kätzchen, das nach wie vor auf seiner Schulter lag. »Mite hat Magnus gehört«, sagte er zusammenhanglos. »Er hat sie gerettet … oder ihn. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Bei so jungen Tieren lässt sich das schwer sagen.«
Diese mitfühlende menschliche Handlungsweise ließ den jungen Landsborough mit einem Mal in einem anderen Licht erscheinen. Es zeigte eine Dimension, die weit über den namenlosen Idealismus hinausging. Mit plötzlicher Wut musste Pitt daran denken, dass man ihn einfach deshalb getötet hatte, weil jemand die öffentliche Meinung beeinflussen und ein Klima schaffen wollte, das einer ungeheuerlichen Gesetzgebung günstig war und ihr Vorschub leistete.
»Nein, das war nicht sein Vater«, sagte er mit belegter Stimme. »Dessen einziges Bestreben war es, Magnus zur Umkehr zu bewegen. Getötet hat ihn sein Vetter Piers Denoon. Da man mir gesagt hatte, er halte sich auf dem Lastkahn verborgen, um das Land bei einsetzender Ebbe auf dem Wasserwege zu verlassen, wollte ich ihn festnehmen, bevor ihm die Flucht gelang. Immerhin ist es sehr einfach, von hier flussab zu fahren und den Kanal zu überqueren.«
»Piers?«, fragte Kydd ungläubig. »Wieso hätte er das tun sollen? Das ergibt keinen Sinn. Ich kann es nicht glauben.« Der Blick seiner leuchtenden Augen war hart.
»Weil er Ihre Gruppe mit Geld versorgt hat?«, fragte Pitt.
»Wenn Sie das wissen, ist Ihnen auch klar, warum ich es nicht glauben kann«, hielt ihm Kydd entgegen. »Welchen Grund hätte er haben sollen, Magnus zu töten?« Er löste Mite von seiner Schulter und setzte sich auf den Stuhl.
»Denselben, aus dem er alles andere getan hat, was mit der Anarchie zusammenhängt«, sagte Pitt. »Man hat ihn erpresst. Er konnte es sich nicht erlauben, Nein zu sagen, sonst wäre er ins Gefängnis gekommen. Ich bezweifle, dass er dort lange überlebt hätte.«
»Wir hätten ihm geholfen. Wie Sie schon gesagt haben, es ist nicht schwer, über den Kanal nach Frankreich und von da weiter nach Portugal zu
Weitere Kostenlose Bücher