Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
kommen.«
»Vielleicht, wenn es um Anarchie geht. Und was ist mit Vergewaltigung?«
Kydd war wie vor den Kopf geschlagen. »Vergewaltigung!«, wiederholte er. »Vergewaltigung?«
»Vor etwa drei Jahren. Ein Mädchen aus dem Volk. Ich nehme an, er hat sie falsch eingeschätzt. Dennoch war es eine üble Gewalttat, und sie ließe sich noch schlimmer darstellen. Eine junge Frau, die ohne weiteres die Schwester oder Tochter der Art Mann gewesen sein konnte, mit der er es im Gefängnis zu tun bekommen hätte.«
Auf Kydds Gesicht war deutlich zu sehen, dass er nicht verstand, was das zu bedeuten hatte, und flüchtig trat sogar eine Art Mitleid auf seine Züge. »Was werden Sie jetzt tun? Ich nehme an, Sie wissen mit Bestimmtheit, dass er Magnus getötet hat …?«
»Sind Sie nicht selbst davon überzeugt, wenn Sie darüber nachdenken?«, fragte Pitt. »Es musste jemand sein, dem bekannt war, dass Sie das Haus in der Long Spoon Lane aufsuchen würden, denn dort hat er Sie erwartet. Er kannte Magnus und hat keinen einzigen Schuss auf Welling oder Carmody abgegeben. Außerdem hat er sorgfältig darauf geachtet, dass man ihn nicht sehen konnte.«
Kydds Gesicht wurde plötzlich verschlossen. »Also war es Piers. Das ist die einzige Lösung, die einen Sinn ergibt. Der arme Kerl. Ich wollte den Täter unbedingt baumeln sehen, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.« Erneut legte er die Hand auf das Kätzchen und liebkoste es, was mit einem sofortigen Schnurren belohnt wurde. »Gehen Sie und tun Sie, was Sie zu tun haben. Wenn Sie rauskommen, gleich links, dann entlang der London Road zur Onega-Werft, vorbei am Norway-Dock, bis dahin, wo es in die Brickley Road geht. Damit kommen Sie genau zur Fähre am Anleger von Rotherhithe.« Er stand nicht auf.
Pitt nickte. »Danke.«
»Es ist der Mühe nicht wert, mich hier wieder zu suchen.«
»Ich hatte nicht die Absicht. Wie Sie schon gesagt haben, ich habe etwas wieder gutzumachen.« Er blieb in der Tür stehen. »Vermutlich hatten Sie mit der Sache in der Scarborough Street nichts zu tun?«
Die Verachtung, die Kydd empfand, war nicht zu erkennen, aber er sagte: »Das ist noch einer, den ich gern am Galgen sehen möchte, falls Sie ihn zu fassen kriegen. Deswegen hab ich Sie vor dem Ertrinken bewahrt – ich vermute, Sie sind der Einzige, der einen ernsthaften Versuch in diese Richtung unternimmt.«
Vespasia wollte gerade zu einer späten Abendgesellschaft aufbrechen, als der Butler ihr mitteilte, dass Mr Pitt im Vestibül sei.
»Lassen Sie die Kutsche warten, und führen Sie ihn herein«, gebot sie ohne zu zögern und ging in ihren Salon. Die Vorhänge waren zugezogen, weil es regnete und sie es nicht gern sah, wie sich der Lichtschein in den Tropfen spiegelte, die von den Bäumen herabfielen. Sie war kaum eingetreten, als sie hörte, wie Pitt dem Butler dankte. Im nächsten Augenblick war er da und schloss die Tür hinter sich. Er wirkte bleich und durchgefroren. Sein Haar war vom Regen durchnässt und stand in alle Richtungen ab. Gesicht und Kleidung waren stark verschmutzt.
»Du wolltest gerade ausgehen«, sagte er mit einem Blick auf das herrliche Abendkleid mit den hoch angesetzten Ärmeln und dem taubengrauen Schimmer von Satin unter elfenbeinfarbener Spitze. »Entschuldige bitte.« In seiner Stimme wie auch in seiner Körperhaltung lag eine Entschlossenheit, die ihr klar machte, dass sie unmöglich gehen konnte.
»Das ist jetzt nicht wichtig.« Sie tat die Angelegenheit mit einer winzigen Handbewegung ab, bei der die Diamanten ihrer Ringe aufblitzten. »Soll ich die Köchin bitten, uns etwas zu machen? Du siehst ein bisschen aus wie … ein Pferd nach einem schweren Rennen … das es verloren hat.«
Er lächelte. »Ich habe Grund zu der Annahme, dass ich
gewonnen haben könnte. Ja. Es ist mehr die Kälte als Hunger. Ich …« Er hielt inne. Er zitterte.
»Setz dich«, gebot sie. »Und zieh um Gottes willen den Mantel aus!« Sie griff nach der Klingel. Als der Butler kam, trug sie ihm auf, er solle den Kutscher mit einer Entschuldigung schicken, dass sie leider nicht kommen könne. Die Köchin solle eine Mahlzeit für zwei Personen zubereiten und er selbst unverzüglich einen heißen Grog bringen, anschließend Pitts Mantel mit einem feuchten Schwamm säubern und danach zum Trocknen aufhängen.
»So«, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. »Was gibt es, Thomas?«
Er fasste seine Erlebnisse in wenigen Worten zusammen, stellte aber ausführlich dar, was er
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