Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
über Magnus Landsboroughs Tod wusste und was Kydd ihm gesagt hatte. »Es tut mir sehr Leid«, sagte er leise. »Das wird für die Landsboroughs bitter werden, aber ich kann die Sache nicht auf sich beruhen lassen.«
»Natürlich nicht«, stimmte sie zu. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sodass sie kaum schlucken konnte. Sie dachte an Sheridan und gleich darauf an Enid. Die beiden Geschwister waren einander so nahe, und dennoch hatte ihr Sohn den seinen getötet. Wie würden sie darüber hinwegkommen? »Vermutlich hättest du mir nichts davon gesagt, wenn es den geringsten Zweifel gäbe?« Sie meinte das nicht wirklich als Frage, denn ihr war klar, dass all das durchaus einen Sinn ergab, so schrecklich dieser auch war. Wenigstens war Pitt in Sicherheit, auch wenn Voisey nach wie vor lebte und daher eine fortwährende Gefahr bedeutete. »Und dieser Kydd hat also gesagt, dass Magnus’ Vater dort war und versucht hat, ihn von seinen anarchistischen Überzeugungen abzubringen?«
»Ja. Das ist auch ganz natürlich. Bei meinem Sohn hätte ich genauso gehandelt. Kydd hat sich über Magnus achtungsvoll, und ich denke auch, mit Wärme geäußert. Er hat sogar dessen Kätzchen sozusagen adoptiert.«
»Magnus hatte ein Kätzchen?«, fragte Vespasia erstaunt. »Hat
er nicht auf Katzenhaare ebenso empfindlich reagiert wie die übrigen Landsboroughs? Da hätte er doch sicher keine Katze gehalten, weil er sonst ständig hätte niesen müssen und kaum Luft bekommen können.«
»Ja«, sagte Pitt. »Ein kleines schwarzes Knäuel. Sie heißt Mite. Sie kann nicht älter gewesen sein als ein paar Wochen.«
»Bestimmt hat dich der Mann belogen, Thomas. Alle Angehörigen der Familie Landsborough haben eine Katzenallergie.«
»Eine solche Lüge scheint keinen Sinn zu ergeben«, sagte Pitt nachdenklich. »Es würde doch keinen Unterschied machen. Bist du sicher?«
»Ich … «, setzte sie an, um zu sagen, dass sie sicher war, dann ging ihr auf, dass es sich um eine bloße Vermutung handelte. Ihr war bekannt, dass Sheridan und Enid keine Katzen in ihrer Nähe dulden konnten, wie auch Piers und, soweit sie wusste, Sheridans und Enids Vater. Vielleicht war Magnus das Leiden erspart geblieben. Er ähnelte seiner Mutter in vielen Dingen mehr als dem Vater – beispielsweise hatte er Cordelias dunkle Hautfarbe. Beim Körperbau konnte man nichts sagen, denn Sheridan wie auch Cordelia waren ziemlich groß. Während er schlank geblieben war, war sie etwas fülliger geworden. Als sie Magnus vor einigen Jahren zuletzt gesehen hatte, schien er den Landsboroughs weder in seiner Hauttönung noch in seinem Gesicht besonders ähnlich zu sein. Sie erinnerte sich lediglich an sein Lächeln und seine kräftigen Zähne.
Dann fiel ihr ein, wo sie einmal sehr flüchtig ein Lächeln ähnlich dem von Magnus gesehen hatte, und ein Dutzend Eindrücke gingen ihr wild durch den Kopf. Dann tauchte ein neuer auf, ein bezeichnender, der an die Stelle der Empfindungen trat, die sie bei jeder Begegnung im Hause Landsborough unter der Oberfläche gespürt hatte: Enids Hass, Cordelias Wut und Sheridans Gleichgültigkeit seiner Frau gegenüber. Sofern sie Recht hatte, ergab das Ganze einen fürchterlichen Sinn, und sogar die Katze passte dazu.
Pitt sah sie abwartend an.
Ihr verschwamm alles im Kopf, und zugleich fühlte sie sich
von einem Kummer überwältigt, in den sich deutlich ein Schuldgefühl mischte. Sie war Sheridan mit so viel Zuneigung begegnet, hatte in ihm einen angenehmen Gefährten gefunden, mit ihm lachen können, es war eine Freundschaft gewesen, die in keiner Weise von Pflichten diktiert wurde, bei der keiner etwas erwartete oder einen Vorteil suchte. Beide waren einsam gewesen, hatten sich nach Schönheit gesehnt, nach kleinen Freuden, die man allein nicht wirklich auskosten konnte.
»Was hast du?«, fragte Pitt. Möglicherweise ging es um etwas, das seine Aufmerksamkeit erforderte.
Sie sah ihn an. Überrascht merkte sie, wie leicht es ihr fiel, ihm anzuvertrauen, was sie zu sagen hatte.
»Ich glaube, Cordelia hatte eine Affäre«, teilte sie ihm mit. »Magnus litt nicht an einer Katzenallergie, weil Edward Denoon sein Vater war – und nicht Sheridan Landsborough. Das ist der Grund für den Hass Enids auf ihren Mann und ihre Schwägerin wie auch dafür, dass Sheridan nichts für seine Frau empfindet. Diese Gleichgültigkeit ist die tiefste Kränkung, die sie sich vorstellen kann. Das erklärt alles, was ich schon zuvor halb geahnt und halb
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