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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verstanden habe.«
    Er sagte nichts. Sie sah seinem Gesicht an, dass er überlegte, was diese Enthüllung zu bedeuten hatte, dass er allen Verwicklungen nachging und festzustellen versuchte, ob und inwieweit das den Mordfall in einem anderen Licht erscheinen ließ. War sich Piers Denoon im Klaren darüber gewesen, dass der Mann, den zu erschießen man ihn gezwungen hatte, nicht sein Vetter, sondern sein Halbbruder war? Wenn Wetron das gewusst hatte, war es ihm vermutlich gleichgültig gewesen. Es war lediglich eine weitere parallel verlaufende Tragödie.
    »Was wirst du tun?«, fragte sie.
    Er wirkte müde. »Das weiß ich noch nicht. Piers Denoon muss festgenommen und unter Anklage gestellt werden, aber vorher müssen wir etwas gegen Tanquerays Gesetzentwurf unternehmen. Das hat im Augenblick Vorrang.« Sein Gesicht war angespannt, seine Haut bleich, und um seine Augen lagen tiefe
Schatten. »Es sieht ganz so aus, als ob Voisey gegenwärtig die Oberhand hätte. Er besitzt nach wie vor den Beweis dafür, dass Simbister für den Anschlag in der Scarborough Street verantwortlich ist und zwischen ihm und Wetron eine Beziehung besteht – immer vorausgesetzt, er hat mir die Wahrheit gesagt. Ich wage nicht anzunehmen, dass sich das nicht so verhält.«
    »Nein.« Vespasia fühlte sich sonderbar leer. Sie hatte von Anfang an damit gerechnet, dass Voisey Pitt in den Rücken fallen würde, sobald er eine Gelegenheit dazu sah. Wer mit dem Teufel essen wollte, brauchte in der Tat einen sehr langen Löffel. Trotz der reichlichen Erfahrung, die Pitt mit Tragödien und aller Art menschlicher Selbstsucht, Überheblichkeit und Hass hatte, überraschte ihn Bosheit stets aufs Neue. Er sah den Menschen, wo andere, weniger großmütige Naturen nichts als das Verbrechen gesehen hätten. Es war sinnlos, ihm zu sagen, er hätte nicht so vertrauensselig sein dürfen. Wahrscheinlich wusste er das selbst. Und außerdem wollte sie nicht, dass er diesen ganz besonderen Wesenszug einbüßte, der zugleich seine Stärke und seine Schwäche war. »Vielleicht wird es später eine Gelegenheit geben, an ihn zu denken.« Sie lächelte trübselig, aber unendlich sanftmütig. »Doch ich fürchte, dass wir dafür all unsere Vorstellungskraft und Intelligenz zusammennehmen müssen. Bisher weiß Voisey nicht, dass du noch lebst, und er könnte daher morgen so handeln, als wärest du tot.«
    »Du meinst den Gesetzentwurf?« Seine Stimme klang etwas gequetscht. »Du meinst, er wechselt ins andere Lager und unterstützt ihn jetzt?«
    »Ich an seiner Stelle«, sagte sie langsam, »würde Simbisters Beteiligung am Anschlag in der Scarborough Street öffentlich machen und diesen unübersehbaren Beweis für Korruption dazu benutzen, mich gegen den Gesetzentwurf zu stellen, jedenfalls vorläufig.«
    »Und danach?« Sie sah seinen Augen an, dass er die Antwort kannte.
    »Wetron ebenso vernichten«, sagte sie. »Dann seine Stelle einnehmen,
den alten Inneren Kreis wieder zusammenführen und beherrschen wie zuvor. Wie ich Voisey kenne, wird er grausige Rache an denen üben, die ihn verraten haben.«
    Pitt saß reglos da und dachte nach. »Ja.« Auf seinem Gesicht lag eine tiefe Mattigkeit.
    Sie schwieg eine Weile. »Er wird dir nie im Leben verzeihen, Thomas«, sagte sie schließlich.
    Er hob den Blick. »Das ist mir klar. Ich besitze immer noch das Beweismaterial für die Beteiligung seiner Schwester an der Ermordung des Geistlichen Wray. Ob ich das verwenden soll? In dem Fall bliebe mir aber nichts mehr, womit ich Charlotte schützen könnte. Und das weiß er.«
    »Natürlich weiß er das«, bestätigte sie. »Das ist der Haken dabei, wenn man seine letzte Karte ausspielt. Was würde dir danach bleiben?«
    Er sah sie mit dem Ausdruck unverhüllter Besorgnis an. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln, das seiner eigenen Verletzlichkeit galt, umspielte seine Lippen. »Ich nehme an, dass auch Charlotte es nicht verwenden würde, selbst wenn ich tot auf dem Grund der Themse läge. Sie würde es zurückbehalten, um Daniel und Jemima zu schützen, und auch das ist ihm klar. Ich hatte mich gefragt, warum er keine Angst hatte, mich umbringen zu lassen. Ich hätte daran denken müssen.«
    »Es hat keinen Sinn zu überlegen, was man hätte tun sollen und was nicht, mein Bester«, sagte sie. »Wir wollen die Ereignisse des heutigen Abends überschlafen und sehen, was der neue Tag bringt. Ich komme um neun Uhr zu euch, sobald ich die Morgenzeitungen gelesen habe. Jetzt musst du mir

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