Flammenbucht
die Kordel mitgenommen, seit ich aufrecht sitzen kann. Ich erinnere mich gut daran, wie es damals zuging, als der alte Stolling noch am Schenker stand!«
»Erinnerungen«, murmelte der Krabbensammler Schnappes und spielte mit der Muschelkette, die um seinen Hals baumelte. »Dahingegangen und verschüttet… manches kehrt zurück, anderes bleibt im tiefen Grab. Und ist nicht jeder Abend in der
Roten Kordel
der Nachhall einer Erinnerung an bessere Zeiten, an rauschhafte Nächte, an alte Kameradschaft?« Schnappes liebte es, die Alltäglichkeiten des Lebens auf höhere Ebenen zu zerren, deren Undurchsichtigkeit ihn - und eigentlich nur ihn - in wohligen Schauer versetzte. Diese Marotte wurde von den meisten Bewohnern des Dorfs geduldet; nicht aber von Ungeld.
»Erzähl keine Märchen«, schnauzte er den Krabbensammler an. »Die
Kordel
lebt von den hartverdienten Münzen, die uns der junge Stolling Nacht für Nacht aus den Taschen zieht. Alte Kameradschaft… daß ich nicht lache! Wir kommen hier zusammen, um zu saufen, nicht mehr, nicht weniger.« Er wischte sich über sein weingefärbtes Mündchen. »Jetzt allerdings wären ein paar Rasche wirklich fein, was meint ihr?« »Könnt ihr drei nicht endlich mal die Luke halten?« keifte eine weibliche Stimme aus dem hintersten Winkel des Schankraums. »Hier gibt es Leute, die schlafen wollen!«
Ein breites Grinsen stahl sich in Parzers Gesicht. »Mäulchen, unser süßer Schatz… sie hat gestern ganz schön tief ins Glas geguckt. Acht Krüge Wein und eine Handvoll Rasche!« Schnappes und Ungeld rollten anerkennend mit den Augen. »Dann hat sie dem Sohn vom Schuster Nerdich ihre gierige Zunge in den Hals gesteckt. Ich dachte schon, der Knabe wird jämmerlich ersticken, so wie sie ihn abgeschleckt hat!«
»Ach, ein feiner Abend war das«, seufzte Schnappes, »doch er ging viel zu schnell vorbei. Vorzeitigkeit - das ist unser Fluch! Und nun ein neuer Tag, neue Mühen, neue Plagen…«
»Nichts da!« widersprach Ungeld. »Ich setze keinen Fuß vor die Tür, solange Stolling nicht ein paar Rasche ankarrt.« Er erhob sich und klopfte gegen die Klappe des Schenkers. »Heda, Wirt, hier sind durstige Gäste! Willst du dich nicht endlich dazu bequemen, uns zu bewirten, fauler Hund?«
Hinter dem Türchen blieb alles ruhig, und so hämmerte Ungeld schließlich mit der Faust gegen das Messing, bis es schepperte. Dann aber packte ihn eine unbarmherzige Hand im Nacken, und quiekend vor Schmerz sank der Netzknüpfer zu Boden.
»Das Maul sollt ihr halten, habe ich gesagt!« Vor ihm stand eine Frau, zwanzig Jahre alt, eine Fischerin mit grazilem Körper und hübschem Gesicht. Ihre Bluse war knapp geschnitten und enthüllte einen ansehnlichen schlanken Bauch. Dunkles Haar hing wirr über ihre Schultern, und ihre Augen waren glasig von der durchzechten Nacht.
»Lass ihn los, Mäulchen«, versuchte Parzer sie zu beruhigen. »Ungeld hat sich doch nur einen Spaß erlaubt.« »Einen Spaß?« fauchte die Fischerin. Sie ließ Ungelds fleischigen Nacken los. »Ein paar Ohrfeigen habt ihr drei lärmenden Trottel verdient! Was drückt ihr euch überhaupt noch hier herum? Wolltet ihr nicht gestern Abend nach Hause gehen?«
»Ach ne«, wehrte Parzer ab und strich sich durch seinen borstigen Kinnbart. »Es war mordskalt da draußen, und geregnet hat's obendrein. Schau doch raus! Heute wird's stürmen, da kannst du Gift drauf nehmen. Ich auf jeden Fall werd mich nicht vom Fleck rühren!«
»An deine Frau denkst du wohl gar nicht«, schnauzte Mäulchen ihn an. »Die hast du wieder brav bei den Bälgern gelassen, hä?«
Parzer strahlte sie an. »Bist immer noch neidisch auf sie, was, Süße? Na, du hättest mich schon haben können, aber die junge Dame wollte sich ja zieren! Nicht mit mir, nicht mit Parzer!« Er bohrte seinen schmutzigen Zeigefinger in ihren Bauchnabel. Sie schlug die Hand beiseite.
»Davon träumst du wohl, Saufkopf! Deine Frau ist nicht zu beneiden um einen Kerl, der sich jeden Abend in der
Kordel
die Kante gibt!« Ein plötzliches Taumeln erfaßte Mäulchen, und sie ließ sich auf einen der Schemel fallen. »Nun habt ihr es geschafft«, jammerte sie und preßte die Hand gegen die Stirn. »Mir ist speiübel! Einen Raschen brauch ich jetzt, das könnte helfen!«
Die Wirksamkeit dieser Medizin war unumstritten, und so hämmerte der Netzknüpfer Ungeld erneut mit beiden Fäusten gegen das Schenkertürchen, zweifellos in Sorge um Mäulchens Wohlergehen, und riß damit nun auch
Weitere Kostenlose Bücher