Flammenbucht
die übrigen Kneipengäste aus dem Schlaf.
Die
Rote Kordel
lag außerhalb des Fischerdorfes auf einem Schieferfelsen, der sich hinter der Bucht von Rhagis erhob. Wer zu der Kneipe gelangen wollte, mußte zunächst das Dorf durchqueren; vorbei an gedrungenen Hütten, vor denen sich Fischernetze spannten, vorbei an Schiffen, die mit gerefften Segeln in der Bucht vor Anker lagen. Die Bucht selbst schnitt sich sichelförmig in die Küste ein; zwei Felsen schirmten ihre Mündung vom Wellengang ab. Das Ufer war an dieser Stelle ganz eben, eine Fläche aus Schiefergestein. Rhagis machte auf Aelarian und Cornbrunn keinen schlechten Eindruck; es unterschied sich sehr von den ärmlichen Fischerdörfern ihrer Heimat. Dort waren die Hütten verwahrlost und die Schiffe kaum mehr als brüchige Kähne, die jeder Sturm dahinraffte. Die Häuser von Rhagis hingegen waren gepflegt und die Schiffe in der Bucht von solider Bauart und mit allerlei Schnitzereien verziert. Ganz offensichtlich verdienten die Menschen von Rhagis gut an der Fischerei und zeigten dies auch.
Die zwei Troublinier hatten einige Kinder, die ihnen im Dorf begegnet waren, nach der
Roten Kordel
gefragt, und diese hatten auf das weithin sichtbare Haus auf dem Felsen gewiesen. Der Felsen grenzte die Bucht westwärts vom Silbermeer ab; seine Wände waren zerfurcht, einige aufgebrochene Schieferplatten öffneten sich zu kleinen Höhlen. Eine steile Treppe aus Holzbohlen führte zur Taverne empor, nur durch ein einfaches Seil gesichert.
»Ich möchte nicht wissen, wie viele betrunkene Fischer sich auf dem Nachhauseweg von der
Roten Kordel
schon das Genick gebrochen haben«, sagte Cornbrunn. »Wie kommt man auf die hirnrissige Idee, auf einem solchen Felsen eine Kneipe zu errichten?«
»Du bist doch sonst ein Freund hirnrissiger Ideen«, antwortete Aelarian Trurac. »Für einen guten Rausch kämpft man sich noch die steilste Treppe empor, das wird in Rhagis nicht anders sein als sonst auf der Welt.« Schwerfällig stapften die beiden Troublinier zur Kneipe. Die
Rote Kordel
entpuppte sich als zweistöckiges Steingebäude; es mußte sehr alt sein, die Mauern waren an vielen Stellen ausgebessert. Hinter den Fensterscheiben flackerte trübes Licht. Über dem Eingang baumelte an einem Haken das Wahrzeichen der Kaschemme: eine rote Kordel, übersät mit Salzkristallen.
Schwungvoll öffnete Aelarian die Tür und betrat den Schankraum, dicht gefolgt von Cornbrunn. Unwillkürlich hielten beide den Atem an, als ihnen die Luft aus der Spelunke entgegenschlug; eine Mischung aus Rauch, Bratenduft und dem sauren Atem vieler betrunkener Menschen. Nun entwichen die Schwaden durch die offene Tür ins Freie, und frische Meeresluft strömte in den Schankraum.
Die Troublinier blieben zunächst unbeachtet, denn inzwischen hatte der Gastwirt auf Ungelds Hämmern reagiert und war aus dem oberen Stockwerk herabgeeilt, um den Netzknüpfer gehörig zu verdreschen. Wie ein Verrückter hieb er mit einem Knüttel auf Ungeld ein, als wollte er ihm jeden Schlag gegen den Schenker einzeln vergelten. Als er den Luftzug im Nacken spürte, fuhr er zu den beiden Troubliniern herum. »Und da kommen noch einmal zwei«, schrie er wutentbrannt. »Herzlich willkommen, hereinspaziert, die Herren! Es sind zwar erst ein paar Stunden seit Sonnenaufgang verstrichen, und was macht es schon, wenn der Schankraum noch vor Dreck starrt, geschweige denn die Küche, und was macht es schon, wenn meine Frau noch schlafend im Bett liegt… aber nein, alle Welt strömt in die
Rote Kordel,
als wäre dies hier der Fischmarkt von Galbar Are!« Seine Augen blitzten furchterregend, was die schwarze Tusche noch verstärkte, die seine Lider, Wimpern und Augenbrauen betonte. Der Wirt Stolling, ein etwa dreißigjähriger Mann, putzte sich gern heraus, vor allem für seine hübsche Gattin, die er vor einigen Kalendern in Galbar Are kennengelernt und vom Fleck weg geheiratet hatte. In Rhagis spottete man gelegentlich über den ›schönen Stolling‹ und seine Braut aus der Stadt, doch das kümmerte ihn wenig; er schminkte sich so auffällig wie eh und je und trug überdies Seidenhemden, die er sich eigens in Galbar Are schneidern ließ. Sein größter Stolz aber war das zu wilden Zöpfen verzwirbelte Haar, das ihm ein verwegenes Aussehen verlieh.
»Ich hätte nicht übel Lust, euch allesamt hinauszuwerfen!« fuhr Stolling in seiner Rede fort. »Habt ihr denn kein Zuhause? Verprügeln euch eure Frauen und Männer so derbe, daß ihr
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