Flammende Fesseln
entehren.
Während er noch benommen dalag, sprang sie schnell auf und griff nach Säbel und Ketten. Die Spitze der Klinge auf ihren Stiefvater gerichtet stand sie vor dem Bett.
„Hast du meine Mutter umgebracht?“ fragte sie in kühlem Ton und versuchte, ihre zitternde Hand ruhig zu halten. Sein Gesichtsausdruck spiegelte gleichermaßen Überraschung und Verwirrung wieder. „Deine Mutter? Aber wer – wer ist denn deine Mutter?“
Die Kette sauste knallend auf ihn nieder, als Helena die Fassung verlor. Er krümmte sich vor Schmerz, als das harte Eisen auf seinen Körper traf. „Marjorie!“ schrie sie wie von Sinnen, „Marjorie WAR meinen Mutter – jetzt ist sie tot. HAST DU DAS GETAN?“ Ihre Stimme glich nun einem schrillen Kreischen.
„Helena, Schatz, glaub‘ mir – ich kannte diese Frau gar nicht!“ Hilflos und mit großen Augen blickte Helena auf ihren Stiefvater. Ein Rest der alten Zuneigung überkam sie, und mit einem Mal wusste sie, dass sie ihn niemals würde töten können – nicht einmal dann, wenn er schuldig sein sollte.
Den Säbel weiterhin auf ihn gerichtet bedeutete sie ihm, sich vor dem Bett auf den Boden zu setzen. Sie schlang die Ketten um das fest montierte Gestell, und dann um den Körper ihres Vaters. Dabei versuchte sie, es Kim und Kasimir gleichzutun.
Er versuchte, sich zu erklären: „Ich habe dich adoptiert, als du noch ganz klein warst. Die Mitarbeiter des Waisenhauses konnten mir nicht sagen, wer deine Mutter ist. Sie – sie sagten, sie habe dich ausgesetzt.“
Schwer atmend und voller Schmerz blickte sie ihn an. Noch immer war sie wütend und aufgewühlt. Ich muss mich erst einmal beruhigen, dachte sie. Vielleicht sehe ich dann klarer.
Sie wandte sich von ihm ab und wollte gehen. „Helena, bitte bleib doch…ich liebe dich!“
Unverwandt blickte sie ihn an, während ihr bewusst wurde, dass alles was sie früher an ihm geliebt hatte, nur Fassade gewesen war. „Aber ich liebe dich nicht.“
Mit diesen Worten verließ sie den Wohnwagen, dessen dick gepolsterte Türen seine Schreie dämpften.
Bedrohung und Geständnis
Im Inneren des Zirkus Zaragon herrschte ausgelassene Stimmung: Deliah, die Schlangenbeschwörerin, unterhielt die übrigen Artisten mit einem anmutigen Tanz, während Waldemar mit seinen Schlangenhänden das echte Reptil auf sehr amüsante Weise imitierte. Nur Mr. Figgins, Eva und Borgo saßen mit verschlossenen Gesichtern ein wenig abseits.
Als Helen auf das Zirkuszelt zuging, wurde sie vom kleinwüchsigen Gregor vergnügt empfangen und hinein geführt. „Du tanzt wirklich gut“ sagte er und blickte ehrfürchtig zu ihr auf, was Helena trotz ihrer inneren Aufgewühltheit ein kleines Lächeln entlockte. „Danke!“
Trotz ihres Verdachts, dass einer der Artisten Marjories Mörder sein könnte, fühlte sich Helena im Inneren des Zeltes unter all den verschrobenen Menschen auf Anhieb zuhause. Hier könnte ich bleiben, dachte sie, während sie fasziniert Deliahs Tanz zusah. Figgins gesellte sich zu ihr und sah sie an; aus seinen Augen sprach Besorgnis. „Ist bei dir alles OK?“ fragte er, „Ich konnte leider nicht verhindern, dass Mister Graysoul dich ersteigert. Borgo hier“ – er wies auf den Riesen, der den Kopf hob und ein schiefes Lächeln zeigte, das ein Grübchen auf seine Wange malte – „hat fast bis zum Ende mitgeboten. Leider hat es nicht geklappt. Wir hatten wirklich Angst um dich, Helena“. Helena wandte den Kopf und betrachtete den großen jungen Mann mit dem rötlich-blonden Haar, und Sympathie stieg in ihr auf. Sie würde sich später bei ihm bedanken, das stand fest.
Wieder an Figgins gerichtet sagte sie: „Mir ist nichts passiert - vielleicht war es gut so. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte kurz.“ Sie lächelte ihn an, bevor sie sich erhob und auf Borgo zuging, der neben der stillen Eva saß. Die Frau, deren Gesicht bereits wieder kräftige Bartstoppeln aufwies, riss erschrocken die Augen auf als Helena Borgo fragte, ob er einen kleinen Spaziergang mit ihr machen wolle. Helena konnte den Blick nicht recht deuten, fasste ihn als Eifersucht auf und beschloss, ihn zu ignorieren.
Die Nachtluft war herrlich kühl, als Borgo und Helena nebeneinander her gingen. Das Zirkusareal, das noch vor wenigen Stunden voller lärmender Zuschauer gewesen war, lag jetzt ruhig und friedlich da. Ganz leise meinte Helena, die Schreie ihres Stiefvaters zu vernehmen; sie lotste Borgo daher in die entgegengesetzte Richtung. In der Nähe einer
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