Flammender Diamant
Richtung, sammelte sich das Leuchten wie in Teichen und schimmerte, als wären die Kristalle lebendig und atmeten. Von der nächsten Perspektive sah sie das Licht aus dem Innern der Steine lodern wie Flammen im Eis.
»Seid ihr wirklich Diamanten?« fragte Erin fasziniert.
Schon bald änderte sich das Nachmittagslicht, wurde dunkler, wie eine goldene Flut. Die Kristalle schienen zu brennen. Einen Moment lang erstarrte Erin über der Kamera, bezaubert von der Veränderung in den Steinen. Sie waren wie ein schweigend gesungenes Lied, unmenschlich in ihrer Schönheit, die kristallklaren Tränen eines Regenbogengottes.
Plötzlich war es Erin egal, ob die Steine Diamanten oder Straß, Zirkon oder Quarz waren. Sie arbeitete wie eine Besessene, drückte immer wieder auf den Auslöser, schob die Steine in eine neue Stellung, legte neue Filme ein. Ihr Antrieb war die wilde Schönheit der Steine und ihr gleichermaßen wildes Verlangen, den Augenblick einzufangen, in dem sich Kristall und Licht wie Liebende verbanden.
Erst als das Leuchten in den Kristallen verlosch, richtete sich Erin auf und verließ die Kamera. Sie versuchte, die Spannung von Stunden in gebückter Haltung zu lösen. Sie fühlte sich erschöpft und gleichzeitig glücklich, wie die Forscherin auf der Rückkehr aus noch unentdecktem Gebiet, die Gedanken voller neuer Eindrücke, und doch nach mehr verlangend.
Widerwillig wandte sie sich von den Steinen ab und sah auf die Uhr, überlegend, ob sie noch ein paar Bilder mit Kunstlicht machen konnte, oder ob ihr Vater womöglich bald kommen würde, mit Fragen aus einer Vergangenheit, die sie nicht mit ihm besprechen wollte. Vielleicht würde er ihr statt dessen auch Antworten für ihre Zukunft geben, denen sie zuhören konnte, ohne sich zornig und verraten zu fühlen.
Es klopfte kurz an der Tür. »Kleines? Ich bin's, mach auf.«
Nach einiger Schwierigkeit mit den Sicherheitsschlössern schaffte Erin es schließlich, die Tür zu öffnen. Ihr Vater stand vor ihr im Flur, so groß und gutaussehend wie immer, in graphitgrauem Anzug, weißem Hemd und Seidenkrawatte. Die männliche Uniform in der Welt von Geschäft und Diplomatie.
»Ich hätte nichts dagegen, in den Arm genommen zu werden«, sagte Windsor lächelnd, aber mit sehr ernsten Augen.
Erin machte ohne zu zögern einen Schritt nach vorn und legte die Arme um ihren Vater. Er schloß die Augen und erwiderte die Umarmung, wobei er sie ein Stück hochhob.
»Du hast keine Schwierigkeiten mehr mit Umarmungen, stimmt's?« fragte er ganz leise.
Einen Augenblick lang war Erin überrascht. Dann wurde ihr klar, daß er recht hatte. Sie hatte keine Angst mehr davor, von einem starken Mann in den Armen gehalten zu werden.
»Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, aber du hast recht«, sagte sie mit freudigem Ton.
»Darum verläßt du auch die Arktis, oder? Du hast endlich diesen verdammten Lügner Hans überwunden. Gott sei Dank, Kleines.«
Noch bevor Erin etwas erwidern konnte, ließ Windsor sie los und ging einen Schritt beiseite. Eine Frau trat hervor, die bisher geduldig und unauffällig im Hintergrund gewartet hatte.
»Hallo, Erin Shane Windsor. Ich bin Nan Faulkner.«
Staunend ergriff Erin die breite Hand, die ihr hingestreckt wurde. So wie die Frau selbst war auch ihr Handschlag ernsthaft, beherrscht und kurz. Das Kostüm, das sie trug, hatte einen schmalen Rock und war einen Ton dunkler als Windsors Anzug. Ihre Gestalt war massiv, untersetzt und breit, aber nicht fett. Ein dünner, schwarzer Zigarillo rauchte in ihrer linken Hand. Mit derselben Hand hielt sie auch eine schwarze Schachtel mit einer Skala auf der Oberfläche und einem Stab an der Seite.
Windsor ging nach ihr durch die Tür. Er schloß die Sicherheitsschlösser ohne jedes Überlegen. Faulkner warf einen Blick auf die auf dem Tisch liegenden, schimmernden Steine und stieß hervor: »Herrgott im Himmel!«
Mit beherrschtem, aber eiligem Schritt ging sie zum Tisch.
Sie warf ihren rauchenden Zigarillo in Erins halbleere Kaffeetasse, zog die Vorhänge auf, um das restliche Licht voll ausnutzen zu können, und schaltete das Kästchen ein. ln schneller Folge berührte sie einen Stein nach dem anderen mit der Spitze des Stabes, vom kleinsten bis zum größten.
»Herrgott«, murmelte sie, als die Steine einer nach dem anderen den Wärmewiderstand von Diamanten zeigten. Dann berührte sie den grünen Stein, und auch sein Meßwert bewies, daß es sich um einen Diamanten handelte.
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