Flammender Himmel
Zweischichtenglas schnitt, so daß der fertige Vogel am Ende in allen Schattierungen von Braun und Bronze leuchtete. Das Ätzen erforderte viel Zeit und Geduld, aber Angel vertiefte sich nur zu gerne in den langwierigen Vorgang. Solange sie arbeitete, fühlte und sah sie nichts als das, was sie gerade tat, lebte ausschließlich im Moment ihrer Arbeit.
Schließlich war der Falke fertig. Mehr als siebzig mit Ätzungen versehene Glasstücke lagen schimmernd auf dem erleuchteten Arbeitstisch, jede braune Feder ein fantastisches Netzwerk aus Bronzetönen.
Angel begann, die Stücke zusammenzufügen. Sie nahm den polierten Mahagonirahmen zur Hand, den sie für ihr Bild ausgewählt hatte, und befestigte ihn auf einem großen, ungewöhnlichen Tisch. Er stand auf Rollen und ließ sich kippen wie ein Zeichenbrett.
Die Tischplatte selbst ließ sich herausziehen und der Rahmen senkrecht stellen, so daß das Licht ungehindert durch ihr Glasbild strömen konnte. Angel benutzte diese Vorrichtung, wenn sie an Bildern arbeitete, die zu groß waren, als daß sie sie allein hätte hochheben können.
Sie arbeitete Tag und Nacht, legte nur hin und wieder eine kurze Pause ein, um einen Happen zu essen oder um ein Nickerchen auf dem Sofa in ihrem Studio zu machen.
Und dann hörte sie ganz auf zu schlafen, versenkte sich vollkommen in die Kreation, die vor ihren Augen und unter ihren Fingern Gestalt annahm. Funkelndes Glas, die Andeutung eines Lächelns, ein großer dunkelroter Blutstropfen inmitten schimmernden Goldes, ein schwacher Widerhall dieses Tropfens auf dem Falken selbst, und all das umgeben von einer Explosion harter, scharfer Kristallsplitter.
Schließlich ruhte auch das letzte Glasstück in seinem Bleibett, der Zement war aufgetragen und wieder abgebürstet, jedes bunt schillernde Bruchstück auf Hochglanz poliert worden.
Mit einem Seufzer, der so tief war, daß ihre Ohrringe zitterten und bimmelten, lehnte sich Angel gegen den Tisch. Sie wußte, daß ihre Vision vollendet war, sah sich jedoch außerstande, diese Tatsache zu akzeptieren. Sie war noch nicht bereit, sich der Leere vor und in ihr zu stellen, fühlte nichts als eine abgrundtiefe Erschöpfung.
Sie schob den Rolltisch in ihr Schlafzimmer. Mit zitternden Fingern entfernte sie die Sperrholzplatte und stellte den Rahmen mit dem Glasbild in eine senkrechte Position. Nichts stand nun mehr zwischen ihrer Kreation und der dahinterliegenden dunklen Nacht.
Die Glasscheibe wirkte beinahe farblos, so grau und trüb, wie es in Angels Seele aussah, denn kein Licht erhellte die Scheibe, alles war umgeben von Finsternis.
Sie warf einen Blick auf das Bett, in dem sie nicht mehr geschlafen hatte, seit Hawk gegangen war. Die kleine Zuckerstange, deren grünes Bändchen im künstlichen Licht der Nachttischlampe schwach schimmerte, lag noch unberührt auf ihrem Kopfkissen. Mit einem leisen Aufschluchzen nahm sie die Stange in die Hand, hörte das Knistern der durchsichtigen Plastikverpackung, aber noch deutlicher das Echo von Hawks trostloser Vergangenheit, von dem einzigen Geschenk, der einzigen Freude, die er je in seiner Kindheit erfahren hatte.
Obwohl sie vor Erschöpfung zitterte, konnte Angel den Gedanken an Schlaf und ans Aufwachen danach nicht ertragen.
An den Moment, wenn sie wach wurde und begriff, daß Hawk fort war.
Angel ging wieder zu ihrem Studio zurück. Im Türrahmen hielt sie inne. Zum ersten Mal seit Wochen blickte sie sich um.
Der Raum war ein einziges Chaos. Normalerweise machte sie zwischendurch sauber, wenn sie arbeitete, aber diesmal war ihr das überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Zahllose Glasscherben bedeckten den kleinen Arbeitstisch, alles Farben, die sie ausprobiert und wieder verworfen, Stücke, die sie zerbrochen und dann vergessen hatte.
Sie betrat ihr Studio. Stille umgab sie, unterbrochen nur vom leisen Bimmeln ihrer Silberglöckchen, wenn sie sich bewegte.
Angel blieb an dem Tisch mit den bunt schillernden Glasscherben stehen und merkte auf einmal, daß ihr schwindlig wurde. Sie streckte die Hand nach der Tischplatte aus, um sich festzuhalten, doch es war bereits zu spät. Die Platte kippte und schleuderte Angel in einen finsteren Abgrund.
Ein großes schwarzes Auto kam vor dem Ramsey-Haus zum Stehen. Lange Zeit saß der Fahrer reglos im Dunkeln und starrte zu den Lichtern im Nordflügel hinauf.
Hawk hatte sich mit aller Kraft gegen den Drang gesträubt, wieder hierherzukommen, kämpfte noch immer gegen die Tatsache, wieder hier zu
Weitere Kostenlose Bücher