Flammender Himmel
sein. Er haßte sich dafür, zu Angel zurückzukehren, ohne ihr mehr geben zu können als vor seiner Abreise. Und doch konnte er nicht länger fernbleiben.
Ein Leben ohne Angel war dem Tod so ähnlich, wie Hawk es sich nur vorstellen konnte.
Langsam öffnete er die Wagentür. Die Gehsteigplatten schimmerten bleich im Licht des Halbmondes. Er bewegte sich geräuschlos, mehr ein Schatten als ein Mann aus Fleisch und Blut. Er hielt inne, drehte am Türknauf.
Die Tür öffnete sich.
Er ging hinein und rief ihren Namen.
»Angel?«
Seine einzige Antwort war der Widerhall seiner eigenen Stimme.
»Angel!«
Die Stille war wie die Nacht selbst, wie ein kleiner Tod.
Abrupt rannte Hawk den Gang entlang zu Angels Studio. Er sah den umgestürzten Tisch, sah das Glitzern von zerbrochenem Glas - sah Angel, die bewußtlos inmitten funkelnder, tödlich scharfer Glassplitter lag.
Er rief ihren Namen, als er bei ihr niederkniete, und seine Stimme klang wie zerbrechendes Glas. Mit zitternden Fingern tastete er nach ihrer Halsschlagader. Als er ihren Puls fühlte, ließ er zutiefst erleichtert den Kopf sinken.
Vorsichtig entfernte Hawk jeden einzelnen Glassplitter von Angels lebloser Gestalt. Als er die letzte bronzefarbene Scherbe weggenommen hatte, sah er, daß Angels Hand etwas umkrampft hielt.
Mit unendlicher Vorsicht öffnete er ihre Finger. Er hatte Angst, einen scharfen Glassplitter zu finden, der ihre Handfläche zerschnitt. Aber es war nicht Glas, was er fand, sondern eine Zuckerstange, die mit einem grünen Bändchen umwickelt war.
Zum ersten Mal, seit er ein Kind gewesen war, ließ Hawk den Kopf sinken und weinte.
Angel erwachte nicht, als Hawk sie entkleidete und zum Bett trug. Genausowenig rührte sie sich, als Dr. McKay sie untersuchte und Hawk mit mürrischer, verschlafener Stimme bestätigte, was er ohnehin bereits vermutet hatte. Angel hatte sich so unbarmherzig angetrieben, daß ihr Körper schließlich rebelliert und sie in einen tiefen, längst überfälligen Schlaf hatte versinken lassen.
Hawk zog sich ebenfalls aus und schlüpfte zu Angel ins Bett. Er zog sie in seine Arme und umgab sie mit seiner Wärme. Seine klaren braunen Augen wachten die ganze Nacht lang über ihrem schlafenden Gesicht. Er beobachtete sie selbst noch, als die kräftige Morgensonne die Berggipfel erklomm und Licht durch das
Schlafzimmerfenster fluten ließ, Licht, das das große Buntglasbild schlagartig zum Leben erweckte.
Funkelnde Kristallsplitter zerschnitten das Sonnenlicht in alle Farben des Regenbogens. Fantastische bunte Schatten krochen durchs Zimmer, bis sie Angel mit ihren Fingern erreichten und in ein wundervolles, märchenhaftes Licht tauchten.
Abgelenkt von den tanzenden Lichtschatten, wandte Hawk den Blick von Angels farbüberhauchtem Gesicht ab und auf die riesige, funkelnde Glastafel.
Und dann erstarrte er, vergaß zu atmen, vergaß alles bis auf die bunte Scheibe, so stumm und dennoch so unglaublich lebendig.
Ein Falke, der aus dem klaren Himmel schießt. Eine seiner Klauen grub sich in eine goldene Wolke. Dort, wo die Klaue die Wolke durchstach, quoll ein großer, dunkelroter, leuchtender Blutstropfen hervor.
Und da war noch etwas... etwas in der Wolke selbst.
Das Rätsel der goldenen Wolke, die Faszination und Schönheit des ganzen, herrlichen Bildes zogen Hawk unwiderstehlich in ihren Bann. Er stand auf und trat an die Glastafel heran. Noch während er darauf zuging, erkannte er die ersten fast geisterhaften Linien, goldenes Haar, das im Wind flatterte.
Als nächstes nahm er leicht schräg stehende Augen wahr, eine Verschmelzung von Licht und Schatten, die sich von Augenblick zu Augenblick veränderte, immer in Bewegung und unglaublich lebendig. Ihr Lächeln war rätselhaft, konnte sowohl Qual als auch Ekstase bedeuten oder eine erschreckende Kombination aus beidem.
Hawk stieß einen erstickten Laut aus und beugte sich vor. Er starrte den roten Blutstropfen an, der aus der Wolke hervorquoll, dort, wo die Klauen des Falken das zarte Gebilde durchbohrten.
Tief eingeätzt in den purpurroten Blutstropfen war eine wunderschöne Rose.
Einen Moment lang schloß Hawk die Augen aus Angst, noch mehr zu sehen. Aber er wußte, daß er weiterschauen mußte. Er konnte dem Falken nicht ausweichen, weder seiner Kälte und Grausamkeit noch den Krallen, die sich in die wehrlose Wolke gruben.
Langsam öffnete er die Augen und stellte sich Angels Vision von ihm.
Der Falke war unvergleichlich.
Eingefangen im wilden
Weitere Kostenlose Bücher