Flammenzungen
Asyls, die sie wie gebannt anstarrten.
Plötzlich stürmte Seth, gefolgt von Wanda, in den Speisesaal. „Weg von ihr!“, brüllte er Lorcan an, der beschwichtigend seine Hände hob, aber keinen Zentimeter von Amy zurückwich. „Fass sie an, Penner, und du wirst es bereuen.“ „Ist ja schon gut.“ Lorcan machte einen einzigen Schritt rückwärts, aber das betrachtete Seth wohl eher als Provokation, denn er stapfte auf ihn zu.
Mit vor Zorn gerötetem Gesicht baute sich Seth mit seinen fast zwei Metern vor ihm auf. „Jetzt pass gut auf, Knacki!“
„Exknacki“, korrigierte Lorcan ihn gelassen, aber Amy bemerkte, wie sich seine Armmuskulatur anspannte.
„Mein Wort ist hier Gesetz.“ Der Wachmann neigte sich über ihn wie eine Krähe, die ihm mit dem Schnabel in die Nase hacken wollte. „Ich bin der Sheriff dieses Hauses.“ Lorcans Miene wurde hart. „Wenn du meinst.“
Grob packte Seth ihn am Hals. Ob er ihn schlagen oder nur hinauswerfen wollte, wusste Amy nicht zu deuten. Ihre Sorge, dass es zu einer Prügelei oder Schlimmerem kommen würde, wuchs, als Lorcan die Hände an Seths Gürtel legte. Ganz so als wüsste er, dass der Sicherheitsmann heimlich ein Skelettmesser in seiner Hosentasche trug. Waffen waren auch für die Securitys verboten.
„Er hat mir geholfen“, verteidigte Amy ihn. „Nicht er ist das Problem, sondern er ist derjenige, der das Problem beseitigt hat.“
Wanda musterte die Anwesenden und stellte fest: „Der Indianer ist weg.“
„Hurra, er ist ein verdammter Held“, schrie der Mützenträger, der sich zuvor mit dem Alten gestritten hatte, und trommelte mit seinem Löffel auf den Tisch.
„Ein Dreck ist er. Abschaum“, knurrte Seth und wandte sich an den Mann. „Hör mit dem Krach auf, oder ich stopfe dir den Löffel ins Maul.“
Im nächsten Moment war es still im Saal, niemand wagte sich zu rühren.
Lorcans Hand glitt tiefer. Bevor sie in die Tasche des Nachtwächters eintauchen konnte, beeilte sich Amy zu sagen: „Nicht.“
Er sah sie mit einem Blick an, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, aber sie wusste, dass seine Wut nicht ihr galt. Flehend schüttelte sie den Kopf und formte mit dem Mund ein lautloses: „Bitte.“ Er durfte nicht ausrasten. Seth würde ihn mit Genugtuung zusammenschlagen und ihm Hausverbot erteilen, was bedeutete, dass Amy ihn nie Wiedersehen würde.
Lorcan wandte sich wieder seinem Kontrahenten zu, der grinsend darauf zu warten schien, dass Lorcan die Prügelei begann. Stattdessen ließ dieser ihn los und ging zu seinem Rucksack, der unter dem Stuhl lag, auf dem er gegessen hatte, bevor das Chaos ausgebrochen war. Der tarnfarbene Stoff war fleckig, die aufgenähten Buchstaben R.E.B.E.L.L. waren ausgefranst.
Gras klebte auf dem Rückenteil seines Hemdes. Amy fragte sich, ob er tagsüber auf der Grünfläche eines der zahlreichen Parks im Schatten eines Baumes gedöst hatte. Nachts war es für Obdachlose in einer Großstadt wie New Orleans nicht ungefährlich, sodass viele erst wagten, sich schlafen zu legen, wenn bereits die Sonne aufging. Mitleid regte sich in ihr. Selbst ein harter Kerl wie Lorcan war nicht unverletzlich.
Er schaute zu Boden, als würde er einer dort aufgemalten Linie, die in das Hauptgebäude führte, folgen. „Ich gehe duschen“, murmelte er. Im nächsten Moment verschluckte ihn der Korridor.
„Feigling“, rief Seth ihm hinterher und strahlte wie der Sieger eines Kampfes, den es nie gegeben hatte.
Wanda, die hinter ihm stand, verdrehte die Augen und rief in die Runde: „Wer von den Herren und Damen möchte einen Nachschlag?“, worauf eilig die Stühle zurückgeschoben wurden.
Amy seufzte innerlich. Was für eine beschissene Schicht! Dies war ganz sicher nicht der richtige Abend, um heimlich einen Blick auf den nackten Lorcan in der Dusche zu werfen, wie sie es in ihrem Tagtraum getan hatte.
Glücklicherweise verlief der Rest ihrer Abendschicht ruhig, doch Lorcan traf sie nicht wieder. Wanda verließ mit Finley vor ihr die Essensausgabe, da die beiden den letzten Bus zum French Quarter noch erreichen wollten. In einem der Jazzklubs auf der Bourbon Street trat wohl eine bekannte Band auf, aber Amy hatte den Namen der Gruppe noch nie gehört. In ihren Ohren klang diese Musikrichtung ohnehin wie Katzengejammer, weshalb sie die Einladung, die Kollegen zu begleiten, abgelehnt hatte.
Sie verriegelte die Hintertür der ehemaligen Grundschule. Zuerst vernahm sie nur das Klacken ihrer Schuhe auf dem
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