Flammenzungen
heraus, richtete sie auf den Indianer und rief: „Hau ab, und zwar sofort!“ Ihre Stimme zitterte, aber das änderte nichts daran, dass sie am längeren Hebel saß.
Demonstrativ spannte sie den Hahn und dankte Skyler stumm dafür, mit ihr auf seinem Grundstück am Lake Pontchartrain Schießübungen gemacht zu haben.
Ganz langsam wandte sich der Indianer zu ihr um. An seiner Miene konnte sie nicht ablesen, was in ihm vorging. Würde er sie attackieren? Wäre sie in der Lage, auf einen Menschen zu schießen? Würde sie es schaffen, nur seinen Oberschenkel zu treffen? Als besonders treffsicher hatte sie sich bei den Übungen nicht herausgestellt, aber der Mann stand keine zehn Schritte von ihr entfernt.
Ihr Herz drohte ihren Brustkorb zu sprengen, so stark - beinahe schmerzhaft - pochte es. Der Indianer klappte sein Messer zusammen und steckte es weg. Er warf Lorcan einen Blick zu. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, aber es wirkte keineswegs feindselig, sondern eher so, als würde er ihm dazu gratulieren, eine Frau wie Amy so sehr beeindruckt zu haben, dass sie ihn verteidigte. Wahrscheinlich deutete sie seinen Blick falsch und er verspottete Lorcan lediglich. Schneller als sie es bei seiner Statur für möglich gehalten hatte, rannte er über den Schulhof und verschwand durch das Tor auf die Straße.
Rasch ließ sie den Revolver in ihrer Handtasche verschwinden und schaute verstohlen zum Gebäude zurück. Hoffentlich hatten Seth und die Obdachlosen, die die Nacht im Asyl verbrachten, nicht gesehen, dass sie illegal eine Handfeuerwaffe bei sich trug. Dann würde sie erneut vor Richter Alternate stehen, und diesmal würde er garantiert kein mildes Urteil fällen.
Erschöpft glitt Lorcan zu Boden. Er seufzte, wischte sich übers Gesicht und schaute Amy müde an. Sie lief zu ihm und hockte sich vor ihn hin. Bestürzt betrachtete sie den Schnitt an seinem Arm.
„Das ist nur ein Kratzer“, sagte er.
Tatsächlich verzog er keine Miene, als Amy ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche holte und behutsam das Blut abtupfte. Notdürftig trocknete sie seine aufgeplatzte Augenbraue. Vor Mitleid zog sich ihr Magen zusammen. Lorcan sah wirklich mitgenommen und erschöpft aus.
„Komm, ich helfe dir auf.“ Sie legte seinen Arm auf ihre Schulter und kam ihm so nah wie nie zuvor. Dort, wo er sie berührte, prickelte es köstlich, und ihr fiel das Atmen schwerer. Amy schob ihre Kurzatmigkeit auf die Sommernacht, die immer noch heiß und schwül war, doch es gelang ihr nicht, sich selbst zu belügen. Meistens trennte sie der Tisch, auf dem sich die Speisen für die Bedürftigen befanden, voneinander, nun war es nur der Stoff ihrer Kleidung. Mehr nicht.
Unter Ächzen und Stöhnen stand Lorcan auf. Er hielt sich den Bauch und krümmte sich.
„Ich werde dich ins Krankenhaus bringen“, schlug sie vor und kramte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel.
Doch er schüttelte seinen Kopf.
„Du könntest gebrochene Rippen haben.“
„Danke, aber es geht schon. Ich werde meine Sachen holen und verschwinden.“ Er machte einen Schritt auf die Sträucher zu, blieb jedoch sofort wieder stehen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Er stützte sich auf seinen Oberschenkeln ab.
„Keine Widerrede!“, sagte sie und hielt ihn am Arm fest, doch sie zog die Hand wieder zurück, als sie spürte, wie wundervoll sich seine weiche Haut über den harten Muskeln anfühlte. „Du musst dringend von einem Arzt untersucht werden.“
Mühsam richtete er seinen Oberkörper auf. „Und wie soll ich ihn bezahlen? Immer weniger Kliniken bieten kostenlose medizinische Hilfe an. Das ganze beschissene Sozialsystem geht den Bach runter.“
„Die Notaufnahme wird dich schon nicht wegschicken. Sie müssen dich behandeln.“
Wegen eines Kratzers und einer Platzwunde?', werden sie sagen und mich wegschicken. Du hast keine Ahnung, wie es ist, ganz unten zu sein, weißt du?“
Ihr schlechtes Gewissen meldete sich. „Nein, das habe ich tatsächlich nicht, aber ich werde mich nicht entschuldigen, nur weil ich behütet aufgewachsen bin.“
„Das bin ich auch, doch meistens geht der Absturz verdammt schnell.“
Gerne hätte sie Näheres über ihn erfahren, aber er keuchte und hielt sich an ihrem Auto fest.
„Dir ist schwindelig. Setz dich auf den Beifahrersitz.“ Eilig schloss sie die Tür auf und schob ihn in Richtung Beifahrersitz. Sie hatte erwartet, dass er protestieren würde, doch er nahm bereitwillig Platz. „Wo ist dein
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