Flaschendrehen: Roman (German Edition)

obwohl sie alles mitbekommen hatte, wie ich bei meinem letzten Meeting mit ihr erfahren hatte.
    »Was meint ihr, warum ich so weit gekommen bin? Nur weil ich hübsch aussehe und was in der Birne habe? Nein, weil ich immer bestens informiert bin, meine Augen und Ohren offen halte. Gepaart mit einer guten Intuition und Bauchgefühl habe ich meistens die richtigen Schlüsse gezogen.«
    Erstaunt hatte ich sie angeschaut und überlegt, woher sie alles wusste. Von uns hatte bestimmt keine ausgepackt.
    Und wieder konnte sie meine Gedanken lesen.
    »Ich weiß, was ihr durchgemacht habt. Kurz nachdem Clemens gekündigt hat, habe ich einige Gerüchte gehört, und dann setzte sich das Puzzle für mich zusammen. Du musst mir allerdings glauben, dass ich nichts von seinem Spiel bis dahin ahnte, das war auch für mich eine Überraschung.«
    Geplättet saß ich da.
    »Warum hast du uns nie darauf angesprochen?«
    Feline sah mich mit ihren klugen dunklen Augen an und antwortete:
    »Weil ihr das nicht wolltet, sonst wärt ihr ja zu mir gekommen. Ich habe eure Entscheidung respektiert, aber ich wollte schon lange sagen, dass ich beeindruckt war, wie ihr mit der Situation umgegangen seid, sowohl beruflich als auch privat. Dass ihr damals nicht einfach das Handtuch geworfen und mich nicht im Stich gelassen habt, rechne ich euch hoch an.«
    Und ich rechnete ihr hoch an, dass sie mir keinen Vortrag hielt zum Thema »Beziehung mit dem Chef am Arbeitsplatz« und uns den Freiraum und das Vertrauen gelassen hatte, selbst aus dem Chaos herauszufinden.
    Momentan suchte Feline eine Nachbesetzung für Clemens, auf Dauer konnte sie auf keinen Fall beides machen.
    Feline ließ uns zu sich rufen und hielt einen Stapel Bewerbungsunterlagen in der Hand.
    »So, was ich jetzt mache, ist äußerst unorthodox, aber ich möchte euch die Möglichkeit geben, Clemens’ Nachfolger mit auszusuchen. Das sind die Kandidaten, die in die engere Auswahl kommen. Schaut euch die Unterlagen durch und sagt mir, wen ihr zum Jobinterview einladen würdet.«
    Wir freuten uns über das Vertrauen sowie die Tatsache, dass Feline Wert auf unser Urteil legte, und gingen die Kandidaten sofort durch. Wir entschieden uns für zwei Frauen, die in der Branche gut bekannt waren und einen guten Ruf genossen, außerdem für zwei Männer. Mit einem hatte Michi früher zusammengearbeitet und lobte ihn in höchsten Tönen, der andere brachte einen breiten Background mit. Beide Männer sahen vom Foto her auf keinen Fall so aus, als ob sie eine ernsthafte Gefahr darstellen könnten, der Sexappeal, den sie verströmten, kam dem eines Sellerie gleich.
    Während wir damit beschäftigt waren, einen freien Chefredakteursposten zu besetzen, tat Ilona Richter das Ihrige, damit Clemens keinen neuen Job mehr fand.
    Sie verfügte anscheinend über genug Kontakte in der Branche, um ihm das Leben zu erschweren und Bewerbungsgespräche, die gut gelaufen waren, durch einen kleinen Anruf unter Freunden zu torpedieren.
    Wie der Zufall es wollte, war ich auf sie beim Bundespresseball getroffen, bestens gelaunt, geradezu aufgeblüht sah sie aus, in einer sehr gewagten blutroten Michael-Korr-Kreation.
    Hinter vorgehaltener Hand hatte sie mir von ihrem privaten Kreuzzug gegen Clemens berichtet und sich dabei prächtig amüsiert. Sie schien zu den Menschen zu gehören, die Rache vollkommen auskosten können.
    Auf meine Frage, wie lange sie denn Clemens, der mir dann doch Leid tat, noch darben lassen wollte, überlegte sie kurz und rief:
    »Mmh, lassen Sie mich überlegen? Wie lange hat er sich einer Aussprache verweigert und mich links liegen lassen? Zwei Jahre? Legen wir noch ein Jahr für seelische Grausamkeit obendrauf, dann macht das drei Jahre!«
    Lachend warf sie den Kopf in den Nacken und genoss sichtlich, am längeren Hebel zu sitzen.
    Fast hätte ich mir Sorgen um Clemens gemacht, auch wenn ich wusste, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte, aber dann wurde mir klar, dass Männer wie Clemens immer auf die Füße fallen werden. Und richtig, es dauerte nicht lange, da kam mir zu Ohren, dass Ilona Richter und Clemens das Kriegsbeil nach einer langen Versöhnungsaussprache begraben hatten und inzwischen öfter gemeinsam auf Veranstaltungen und bei romantischen Diners gesehen wurden. Es würde mich nicht wundern, wenn die Zeitgeist bald einen neuen Chefredakteur hätte und Ilona Richter ihren Verlobten zurück, wenn auch nur auf Zeit oder mit mehreren Nebenfrauen dazu. Manche Frauen, und Ilona