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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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Nachnamen deiner Mutter?«, flüsterte Leila mir zu, während der Rest meiner Familie zur dritten Etage hinaufstieg.
    »Weil meine Eltern auf einer Insel im Indischen Ozean nach einem papua-neuguineischen Ritual geheiratet haben, was in Deutschland niemand anerkennt. Da sie sich bis heute weigern, ein Standesamt, Inbegriff deutscher Spießigkeit, zu betreten, sind sie eben nicht richtig verheiratet, und Rudi und ich heißen deshalb wie meine Mutter.«
    Spätestens jetzt würde Leila den Hausverwalter anrufen und zu Recht einen außerordentlichen Kündigungsgrund vorweisen können. Weit gefehlt! Leila sah das ganz anders.
    »Witzig! Du hast echt ’ne interessante Familie!«
    War die unerschrocken! Obwohl, in Berlin war man sicher einiges gewöhnt im Gegensatz zu dem kleinen Vorort Hamburgs, wo ich aufgewachsen war.
    »Geht so. Manchmal wäre mir langweilig lieber. Bis später!«
    Ich schleppte meine Sachen ein Stockwerk höher, und noch bevor ich eingetreten war, stieg mir ein penetranter Duft aus meiner neuen Wohnung entgegen: der Duft brennender Ylang-Ylang-Räucherstäbchen. Super, meine Mutter war bereits dabei, das schlechte Chi auszuräuchern!
    »Mann Eva, das Zeug stinkt widerlich! Wir müssen hier heute Nacht schlafen!« Rudi hustete erzürnt und kniff dabei die geröteten Augen zusammen. Rudi nannte meine Eltern beim Vornamen, ein Überbleibsel aus Kinderladenzeiten; ich jedoch hatte mich strikt geweigert, die »Wir sind gleichberechtigt, und Autorität hat nichts mit Eltern sein zu tun«-Masche mitzumachen, und immer schön Mama und Papa gesagt. Fehlte noch, dass ich meinen Freundinnen erklären musste, dass ich nicht adoptiert war und meine Eltern wirklich meine Eltern waren, nur nicht als solche angesprochen werden wollten. War schon schwer genug, den nicht vorhandenen Fernseher zu erklären, wenn man dreizehn ist und Sätze wie »Wir machen das aus pädagogisch wertvollen Gründen« gesellschaftlichen Selbstmord garantierten.
    »Jetzt lass aber wirklich gut sein, Eva!« Mein Vater riss ein Fenster auf, nur um sich innerhalb von Sekunden das gerade getrocknete Haar erneut patschnass regnen zu lassen. Fluchend knallte er das Fenster zu.
    »Also, die Sommer sind in Berlin auch nicht mehr das, was sie mal waren. Als ich hier studiert habe …«
    Nein! Bitte keine Studienzeitengeschichten! Die endeten immer damit, dass meine Eltern sich viel sagende Blicke zuwarfen, die garantiert nicht jugendfrei waren, und sie von ihrer freien Kommune im Bergmannkiez in Kreuzberg erzählen wollten.
    Rudi nahm es locker, ich hingegen hielt mir immer demonstrativ die Ohren zu und rief, so laut ich konnte: »Lalala, Blumenwiese, Blumenwiese!«
    Ganz ehrlich, gibt es etwas Schlimmeres als Eltern, die über Sex sprechen wollen?
    Ich meine, mit Anfang dreißig hatte auch ich meine Erfahrungen gesammelt, aber belästigte ich jemanden damit? Gut, im Gegensatz zur eher liberalen Einstellung meiner Familie hatte ich schon immer die romantische Vorstellung vom einzig Richtigen, vielleicht aus Protest, aber wohl noch eher, weil es meinem Naturell entsprach. Auch meine Freunde konnte ich an einer Hand abzählen.
    Ich hatte Freundinnen, die bekamen auch heute noch von ihren Eltern vorgeworfen, zu aufreizend gekleidet zu sein oder zu oft den Freund zu wechseln. Und was musste ich mir anhören?
    »Jetzt sei doch nicht so verklemmt!«
    Das war der Lieblingskommentar meiner Eltern! Und das musste ich mir nur deshalb anhören, weil ich ihren völlig veralteten sexuellen Befreiungsreden nicht lauschen wollte! Dabei gab es heutzutage niemanden, der nicht in allem, was es so an Spielereien in Sachen Sex oder Perversionen gab, aufgeklärt war, ob er wollte oder nicht!
    So sehr ich meine Eltern liebte, manchmal war ich mir sicher, ein Findelkind zu sein. Seit ich zwölf war, wartete ich insgeheim auf den Moment, in dem ich ins Wohnzimmer gebeten wurde, um gesagt zu bekommen, dass ich adoptiert worden sei!
    Leider sprach die Tatsache, dass ich meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, gegen diese These, aber zumindest mein Vater könnte theoretisch auch der Postbote oder Milchmann gewesen sein, tröstete ich mich. Irgendwoher musste ich ja das Bodenständige haben.
    »Deine Nachbarin gefällt mir!« Rudi hatte sich eine Cola genommen und lümmelte sich auf dem in Plastikplanen verhüllten Sofa herum.
    Mir schwante Übles.
    »Du lässt die Finger von ihr! Ich bin neu in der Stadt und wäre froh, nicht gleich wieder deine verbrannte Erde

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