Flatline
brach die Verbindung ab. Die Freude über diesen Hinweis drängte die Wut auf Feldmann in den Hintergrund. Mit Vollgas jagte Joshua den altersschwachen Golf über die Autobahn, Düsseldorf entgegen. Der Schnee war mal wieder geschmolzen, die Fahrbahn ein wenig feucht, aber griffig. Joshua kam der unangenehme Gedanke, Feldmann könne ihn reingelegt haben. Es war absurd. Er hätte ja gar nicht anzurufen brauchen, aber die dunkle Ahnung blieb. Mit einer Vollbremsung stoppte Joshua den Wagen. Er rannte sofort in den rechten Schrebergarten. Ein verdutzter Rentner bekämpfte seine Langeweile, indem er die Terrasse des Holzhäuschens fegte.
»Was wollen Sie denn hier? Das ist ein Privatgrundstück!«
»Ich bin auch privat hier. Entschuldigung.«
Joshua rannte links an der Holzhütte vorbei. Die Nässe eines Holunderstrauches drang durch die Jeans. Der Rentner folgte ihm schimpfend. Neben der hinteren Ecke der Hütte stand ein hellgrüner, von der Sonne gebleichter Plastikkomposter. Mit einem beherzten Griff unter die Bodenplatte kippte er die Tonne um. Der Deckel flog ab, der Inhalt des Komposters verteilte sich über ein sauber geharktes Beet. Hinter ihm stand der Rentner. Er stemmte die Hände in die Hüften und schnappte nach Luft. Joshua bückte sich, riss die Plastiktüte an sich. Im Herumdrehen stieß er mit dem Senior zusammen.
»Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich werde die Polizei rufen.«
»Keine Panik, ich bin schon weg.«
Ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, Stoppschildern oder Ampeln ein gesondertes Interesse zu schenken, raste Joshua quer durch die Stadt zur Uniklinik. Der Pförtner, dem er sonst den Dienstausweis hinhielt, um direkt durchfahren zu können, kannte ihn bereits und öffnete unaufgefordert die Schranke.
Doktor Mwandala traf er in dessen Büro an. Joshua hatte den Inhalt der Tüte noch nicht überprüft.
»Wie geht es meinem Kollegen?«
Die Frage kam ihm vor wie russisches Roulette. Er zitterte vor der Antwort, hoffte auf die leere Kammer. Mwandalas Blick steigerte die Angst.
»Ich glaube nicht, dass er die Nacht noch übersteht. Es tut mir wirklich sehr leid.«
Mwandalas Augen wanderten zu der Plastiktüte vor ihm.
»Der Impfstoff. Beeilen Sie sich.«
In der Tüte befand sich eine weitere Tüte. Diese enthielt eine Ampulle und einen Briefumschlag. Mwandala entnahm die Ampulle und ging damit in eine Ecke des Raumes. Er schaltete ein Mikroskop ein, goss einen kleinen Tropfen auf eine Glasscheibe und schob diese unter die Linse.
»Hm, sieht harmlos aus«, er wandte sich Joshua zu, »das muss ich in der Virologie untersuchen lassen.«
»So viel Zeit haben wir nicht mehr«, schrie Joshua.
Mwandala wog den Kopf zweifelnd hin und her.
»Was Sie von mir verlangen, ist streng verboten.«
Joshua hob den Blick seufzend zur Decke. Mwandala wurde sichtlich unruhig.
»Ich konnte diese blödsinnigen Gesetze noch nie verstehen. Worauf warten Sie noch? Gehen wir!«
Zwei Reihen schneeweißer Zähne blitzten auf, Joshua nahm es als Startzeichen. Mit ausholenden Schritten, als zöge er in eine Schlacht zur Rettung des Vaterlandes, und hocherhobenem Hauptes marschierte Mwandala neben Joshua, der Mühe hatte, Schritt zu halten. Corinna saß apathisch neben ihrem Mann, als die beiden den Raum betraten. Sie sagten kein Wort und doch breitete sich der Optimismus, den sie auf ihren Gesichtern trugen, wie eine Wolke in dem kleinen Zimmer aus. Mwandala zog im Hintergrund eine Spritze auf. Joshuas Lächeln übertrug sich auf Corinna, hob, wie von Geisterhand gezogen, ihre Mundwinkel an.
Langsam drückte Doktor Mwandala den Inhalt der Spritze in Jacks Vene.
»Von jetzt an hilft nur noch beten. Hilft übrigens immer.« Er kniff ein Auge zu und strahlte Zuversicht aus.
Mwandala sorgte noch dafür, dass Jacks Körpertemperatur auf gesunde 37 Grad anstieg, um den Stoffwechsel und die Sauerstoffzufuhr der Zellen zu beschleunigen.
»Es handelt sich übrigens zum Glück nicht um einen Impfstoff, wie ich es zunächst befürchtet hatte, sondern um ein Serum.«
Joshua sah ihn erstaunt an. Mwandalas weiße Zähne blitzten auf und schienen den Raum erleuchten zu wollen.
»Ein Impfstoff wirkt nur vorbeugend. Wir hätten ihn zunächst einem gesunden Menschen injizieren müssen, damit dessen Körper genügend Antikörper bilden kann. Aus dem Blut dieses Menschen hätten wir anschließend in einem komplizierten Verfahren das Serum herstellen können. So viel Zeit hätte uns wohl nicht mehr zur
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