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fort. Seine Familie hatte der Polizei so viel zu verdanken. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als ihrem Kollegen das Leben zu retten. Er hatte nichts unversucht gelassen. Mit der Ampulle, die der Erpresser ihm hatte zukommen lassen, war er ins Tropenmedizinische Institut gegangen. Die Mediziner hatten die ganze Nacht durchgearbeitet, ohne Erfolg.
»Wo bleibt Joshua? Warum kommt er denn nicht?«
Mwandala legte einen Arm um Corinnas Schulter, sprach leise auf sie ein.
»Er wird kommen, bestimmt. Ihr Mann wartet auf ihn. Er wird uns nicht verlassen, ohne Abschied genommen zu haben.«
Corinna warf verschreckt den Kopf herum. Ihre Augen glänzten feucht. Sie konnte sich nicht damit abfinden. Mwandala nahm die Angst in ihren Augen wahr.
»Muss er wirklich sterben? Er hat doch nichts getan, wollte immer nur allen helfen.«
Der Mediziner fühlte sich elend. Er hatte alles für diesen Beruf geopfert. Seine Familie, Onkel und Tanten hatten ihre kargen Ersparnisse gespendet, um ihm das Studium in Deutschland zu ermöglichen. Er wollte Menschen heilen, ankämpfen gegen jede Krankheit. Nun blieb ihm nichts mehr, außer Trost.
»In Afrika gibt es ein Sprichwort. Es lautet: Ein Löwe stirbt nicht, er schläft nur.«
Mwandala betrachtete die angeschlossenen Apparaturen. Sie hatten die Körpertemperatur auf 32 Grad heruntergekühlt, das absolute Minimum. Dadurch verlangsamten sich der Stoffwechsel und der Sauerstoffverbrauch. Mwandala wusste, so wurde lediglich das Leben verlängert. Den umgekehrten Weg hatten sie in der vorigen Woche erfolglos abbrechen müssen. Mit einer Körpertemperatur von über 41 Grad wollten sie das Immunsystem zwingen, Antikörper zu bilden. Der Gegner war übermächtig. Jack lag mittlerweile allein in einem abgetrennten Raum. Daneben hatte das Krankenhauspersonal ein zweites Bett gestellt.
»Es ist besser, wenn Sie sich ein wenig ausruhen«, Mwandala sah auf das benachbarte Bett, »sollte irgendetwas passieren, geht ein Alarm.«
Corinna sah den dunkelhäutigen Mediziner entsetzt an. Wie konnte er annehmen, dass sie jetzt schlafen könne.
54
Karin und Joshua saßen in ihrem Dienstwagen. Auf der Rückbank kauerte der gefesselte Feldmann. Joshua hatte in der Uniklinik angerufen und Corinna ausrichten lassen, dass er später kommen würde. Anstatt den Rhein zu überqueren, bog er unerwartet links Richtung Flughafen ab.
»Joshua!«
»Ich nehme das auf meine Kappe. Es geht um Jacks Leben. Ist dir das völlig egal?«
Joshua bereute die Frage im selben Moment. Karin starrte ihn an. Sie fühlte sich hilflos, musste Joshua überzeugen, seinen Freund im Stich zu lassen.
»Das mache ich nicht mit! Dreh sofort um!«
»Karin, bitte. Ich habe dich gezwungen, dich trifft keine Schuld. Es ist die einzige Chance.«
Im Rückspiegel sah er das zufriedene Gesicht Feldmanns.
»Das kostet dich deinen Job, ist dir das klar, Joshua?«
»Glaubst du, ich könnte noch einen Tag meinen Dienst verrichten, wenn ich nicht alles versucht hätte? Karin, Jack hat eine Frau und zwei Kinder, denk doch mal nach. Er würde an meiner Stelle ganz genauso handeln.«
Karin begrub das Gesicht in den Händen.
»Verdammter Mist«, fluchte sie leise und schüttelte dabei unentwegt den Kopf. Karin wusste keinen anderen Ausweg. Sie war gezwungen, Joshua vor einem großen Fehler zu bewahren. Für eine Sekunde schloss sie die Augen und atmete noch einmal tief durch. Ihr Entschluss stand allerdings fest. Als ihr Kollege nach vorne sah, zog sie ihre Dienstpistole und hielt sie Joshua an die Schläfe.
»Du hast es nicht anders gewollt. Dreh sofort um.«
Joshua spürte den kalten Lauf an seinem Kopf. Feldmanns Augenlider vibrierten. Joshua schluckte. Er sah Jack vor sich, als kleinen Jungen in einem dicken Parka, mit einem Schal, der sein halbes Gesicht verdeckte. Sein Freund hatte keinen Gedanken daran verschwendet, ob das Eis ihn tragen würde.
»Wenn du mich daran hindern willst, Jack zu retten, musst du schon abdrücken.«
Karin sah ihn fassungslos an. Sie spürte die Kraft aus ihrem Arm fließen. Resigniert steckte sie die Waffe zurück.
»Du bist so ein Riesenarschloch«, mit einem dumpfen Knall ließ sie ihren Kopf gegen die Seitenscheibe fallen und presste wütend die Lippen aufeinander.
In der Parkbucht vor Terminal B griff Joshua hinter sich, löste die Handschellen. Er drückte Feldmann eine Visitenkarte mit seiner Handynummer in die Hand.
»Solltest du nicht anrufen, werde ich dich bis ans Ende der
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