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entsprechende Erkrankung und nicht die leiseste Ahnung, warum das so ist. Und der Hammer: Er scheint einen Zwilling zu haben. Zu dem Krefelder Opfer gibt es exakt den gleichen Obduktionsbericht. Ich habe die Kollegen dort angerufen. Das Opfer ist in der Drogenszene ein unbeschriebenes Blatt.«
Seifert pumpte Luft aus den Wangen und ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken.
»Joshua, ich gebe zu, wir wissen nicht weiter. Darum haben wir euch eingeschaltet.«
Während Seifert zwei Kaffee holte, dachte Joshua noch einmal über die letzten Sätze nach. Es gab keinen Grund, die Argumentation seines Kollegen anzuzweifeln. Ebenso wenig gab es einen Anhaltspunkt für ein Verbrechen. Was sie bisher hatten, waren lediglich Spekulationen und Ungereimtheiten. Seifert stellte stumm einen Becher Kaffee vor ihm ab und nahm wieder Platz.
»Was sagt denn euer Staatsanwalt?«
Seifert rümpfte die Nase. Statt zu antworten, füllte er zunächst Milch in seinen Kaffee. Danach hob der Kommissar langsam den Kopf, Joshua wurde ungeduldig.
»Er gibt uns noch bis zum Wochenende Zeit, was Brauchbares abzuliefern, danach wird die Akte geschlossen.«
Joshua biss sich auf die Lippen. Einen Tag und der Rest von heute, nicht gerade viel. Allerdings gab es noch einen Joker. Viola Lubjuhn, Staatsanwältin in Krefeld. Wenn ihr Fall wirklich ähnlich gelagert war, hätte sie die Möglichkeit, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.
Karins Gesichtsausdruck passte nicht zur Wintersonne, die kräftig genug war, Schneereste des Vormittages zu schmelzen. Als Joshua ihr Büro betrat, sah er seine Kollegin fragend an.
»Wenn das alles ist, Frau Seitz, sehe ich keine Veranlassung, Ressourcen für diesen Fall bereitzustellen«, imitierte sie die Stimme des Staatsanwaltes. Joshua verdrehte die Augen, während er sich hinter seinem Schreibtisch verschanzte. Als Grund für die mangelnde Motivation des Staatsanwaltes vermutete er den aktuellen Fall. Seit über einem Jahr wurden in unregelmäßigen Abständen Geldautomaten bei Banken und Sparkassen auf spektakuläre Weise geplündert. Die Täter, mittlerweile wusste man von mindestens zwei tatbeteiligten Personen, sprengten die Automaten kurzerhand in die Luft. Letzten Montag wurde bei einem solchen Überfall ein Kunde der Bank schwer verletzt. Der Druck der Medien auf die Staatsanwaltschaft erhöhte sich von Tag zu Tag.
Joshua berichtete ihr von seinem Gespräch mit Elmar Seifert, ohne allerdings seine eigene Bewertung dazu abzugeben. Karin nickte zwischendurch.
»Man hat uns die Ermittlungsakte gebracht, während du in der Festung warst. Die Krefelder haben ebenfalls eine Kopie bekommen. Vielleicht hängen die Fälle ja tatsächlich zusammen.«
Joshua hob hilflos die Schultern, als Elmar Seifert anrief.
»Wir haben beim Einwohnermeldeamt nachgeforscht. Der Vater des Jungen heißt Thomas Stachinsky, geboren am 20. August 1959, Wohnort unbekannt. Die Briefe von ihm, die wir in dem Zimmer des Opfers gefunden haben, wurden alle in Buenos Aires abgestempelt, der letzte vor drei Wochen.«
»Dann sollten wir diesen Thomas Stachinsky so schnell wie möglich kontaktieren.«
»Das liebe ich so am LKA. Dort arbeiten wirklich die intelligentesten Köpfe der Polizei.« Seifert machte eine kurze Pause, »vor fünf Minuten kam die Antwort von den Kollegen aus Buenos Aires. Einen Thomas Stach-
insky gibt es dort nicht.«
8
Kalle schluckte nervös. Er fühlte sich selten so mies wie in diesem Augenblick. Das große Wohnzimmer der Familie Schönfeld im Krefelder Ortsteil Linn wirkte kalt und gespenstisch ruhig. Einzig das gelegentliche Schluchzen der Gastgeberin durchbrach die Stille. Die Polizisten hatten sein Bild in der Vermisstenkartei entdeckt. Zwei Tage vor Patricks Tod war die Anzeige der Eltern von den Kollegen aufgenommen worden.
»Woran ist unser Sohn gestorben?«
Die Augen von Peter Schönfeld waren feucht, seine Lippen bebten. Das war die Frage, die Kalle gefürchtet hatte, seitdem sie vor wenigen Minuten losgefahren waren. Er brachte es nicht fertig, den verzweifelten Eltern das Obduktionsergebnis mitzuteilen. Bedrückt senkte er den Kopf und hoffte inständig, es möge bald vorbei sein.
»Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch«, eilte Friedhelm Bungert ihm zu Hilfe, »hat Ihr Sohn Drogen konsumiert?«
Peter Schönfelds gequälter Gesichtsausdruck schlug in Entsetzen um. Frau Schönfeld verschluckte sich und hustete heftig. Kalle fasste seinen gesamten Mut zusammen und
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