Fleckenteufel (German Edition)
ungemütlich ist und es regnet und man das Meer hört und den Wind und die Vögel. Von irgendwo weit weg höre ich so was wie Donner oder eine Explosion, dann schlafe ich ein.
Reise, Reise!
Ich werde in der Nacht ein paarmal wach, kann aber immer gleich wieder einschlafen. In den Treibschlaf des Morgens mischen sich Akkordeonklänge: Stille Nacht, heilige Nacht .
Ein Weihnachtslied im Sommer, haha, da ist ein echter Scherzbold unterwegs. Das Instrument ist schrecklich verstimmt, Katzenmusik, Höllenchor. Schlaf in himmlischer Ruuuhuu. Das Geschrappel kommt näher und näher. Plötzlich wird der Zelteingang aufgerissen, und der rot angelaufene Bumskopf von Herrn Schrader erscheint:
«REISE, REISE!»
Gleich nochmal:
«REISE, REISE!»
Ich meine schon mal gehört zu haben, dass das ein Weckgruß ist. Vielleicht aus den Landserheften? Irgendwie vermag ich mir nicht recht vorzustellen, dass die Landser in Stalingrad mit «REISE, REISE» geweckt wurden. Ist ja auch egal. Vielleicht frag ich bei Gelegenheit Herrn Steiß oder Peter Edam. Ich weiß jetzt schon, dass ich’s eh nicht tu.
Herr Schrader ist Blockwart durch und durch. Seit wann kann der überhaupt Akkordeon?
«REISE, REISE!»
Ist ja gut. Detlefs Mundgeruch dringt bis zu meinem Bett. Meine Güte, da nützt auch Zähneputzen nichts mehr, das kommt aus dem Hals, Halsgeruch. Der geile Andy hat genug von dem sinnlosen Gebrüll:
«Ja, wir sind nicht taub. Wir stehen ja schon auf.»
«Aber auch machen! Ich kontrollier das. Ich komm wieder. Glaub ma bloß.»
Er geht weiter zum nächsten Zelt. Stihille Nacht, heilige Nacht. Ich habe irgendwo gelesen, dass jemand ein Gentleman ist, der Akkordeon spielen kann, es aber nicht tut. Oder so ähnlich. Egal. Ich befingere meinen Arsch. Zart und sanft und weich und schier, dafür hab ich eine Morgenlatte, mit der ich nichts anfangen kann, jedenfalls nicht hier und jetzt. Normalerweise würde ich mir jetzt einen hobeln, es dauert keine zwei Minuten, bis wieder Ruhe im Karton ist, aber hier geht das ja nun schlecht. Auf Freizeiten ist es überhaupt schlecht mit Hobeln. Auf der Jugendfreizeit bin ich nur einmal dazu gekommen, nach zehn Tagen habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich hab mich echt erschrocken: ranzig braun und rostfarben statt wässrig und farblos wie im Dauerbetrieb. Wenn Andreas einen spontanen Samenabgang hat, muss seine Mutter die Placken bestimmt mit dem Teppichklopfer abhauen und hinterher das ganze Bettzeug in die Heißmangel stecken.
Detlef ist schon wieder am Popeln, igittigitt. Bohr, stocher, wühl, ich seh’s genau: Die erste Schicht ist knochentrocken und verkrustet, dann kommt ein langer Schleimfaden, der beim Rausziehen immer so schön in der Nase kitzelt. Er schmiert den Nasenschmant an die Zeltwand, dabei tut er so, als würde er sein Kopfkissen umdrehen, damit’s nicht auffällt. Von wegen! Der wird’s noch richtig schwer haben. Der Namenlose ist sofort nach Schraders Weckruf aufgesprungen und ins Waschhaus marschiert. Unsympathischer Streber. Andreas und Detlef gehen auch, ich bin allein im Zelt. Das Akkordeon kommt schon wieder näher. Mir bleiben noch ein paar Minuten für den morgendlichen Ranztest. Abstrich. Probe. Je weniger es riecht, desto gesünder ist man. Hab ich mal gehört, vielleicht stimmt’s, vielleicht auch nicht, egal, man muss sich seine eigenen Koordinaten selbst zurechtzimmern, sonst geht man irgendwann unter im Informationsstrudel.
Käsig-stechend-fischig. So stinkt es eigentlich nur, wenn ich mir nachts noch einen gekeult habe, ohne abzuwischen. Komisch, das ist ja schon wieder komisch alles. Aus dem Arsch süßlicher Niveageruch, aus dem Schritt kranker Samenkäse. Der Belag muss sofort runter, sonst kommt’s irgendwann aus der Hose gekrochen, wenn man es am wenigsten brauchen kann. Ich klemme mir meine Kulturtasche unter den Arm, und ab ins Waschhaus. Meine Güte, es ist echt schlotterkalt. Morgens frieren ist das Allerletzte. Na ja, für 343 Mark kann man nicht viel erwarten, schon gar keine geheizten Toiletten. Meine Güte, wie soll ein einzelner Mensch nur diese entsetzliche Kälte aushalten? Ich muss schon wieder an die armen Landser denken und stelle mir vor, wie uns Peter Edam bei der Andacht statt Liederfibeln und Seifenblasenröhren Sturmgewehre in die Hand drückt. Dann ohne Frühstück an die Front, Timmendorfer Strand ausradieren und weiter Richtung Osten.
Zwanzig Jungen stehen vor Kälte zitternd an der Waschrinne und beäugen sich
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