Fleckenteufel (German Edition)
denke ich.
Susanne sitzt ungefähr fünf Meter entfernt schräg links von mir. Als wir uns vorhin kurz gegrüßt haben («Hallo, Susanne» – «Ach so, ja, hallo»), schien es mir, als wäre es ihr peinlich, dass wir uns kennen und sogar gemeinsam Schlitten gefahren sind. Vielleicht wollte sie mir von vornherein klarmachen, dass sich der Kontakt zwischen uns während der kommenden vierzehn Tage aufs Allernötigste beschränken wird. Tja, kann man nix machen, vielleicht besser so, bevor ich mir noch Hoffnungen mache.
Sie wird immer hübscher. Und ihre Titten sind vielleicht groß geworden. Der fiese Dieter Dorsch zwingt sie wahrscheinlich, die Pille zu nehmen, sie muss mit ihm schlafen, obwohl sie eigentlich noch gar nicht so weit ist. Eines Tages wird er sie ohne Vorwarnung von jetzt auf gleich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Wenn es ihm gefällt. Von meiner Position aus kann ich sie unauffällig beobachten. Sie ist nicht nur schön, sondern strahlt auch noch wie sonst was. Unglaublich, wie ein einzelner Mensch strahlen kann. Dieter Dorsch schnallt das gar nicht mit seinem Fuchsschwanzgehirn, der ist nur scharf auf ihre Glocken. Wenn ich nur nicht so klein wäre! Eine Scheiße ist das alles. Ich bin mir sicher, dass ich, wenn ich zwanzig Zentimeter größer wäre, sehr wohl eine Chance bei ihr hätte. Vielleicht.
Detlef salzt sein zweites Brot wie das erste. Ich möchte es ihm am liebsten aus der Hand schlagen! Der wird’s noch ganz schwer haben hier!
Ich senke unauffällig meinen Kopf, um den Schrittmuff zu erschnüffeln. Schnüffel schnüffel. Eine süßliche Niveawolke steigt zwischen meinen Beinen auf, ganz schön auffällig. Ich muss mir gleich nach dem Essen auf dem Klo was wegmachen, sonst riecht das noch jemand, und dann bin ich fällig. Wenn jemand am Arsch nach Nivea duftet, ist ja wohl klar, was Sache ist.
Das Essen schmeckt echt scheiße. Na ja, bei 343 Mark darf man auch wie gesagt nichts Großartiges erwarten. Die Jugendlichen sind längst fertig, aber die Erwachsenen essen langsam wie die Faultiere. Es dauert bei ihnen alles unendlich viel länger, sie fressen sich in allem fest. Wir langweilen uns zu Tode, müssen aber so lange warten, bis auch der Letzte aufgegessen hat. Endlich erhebt sich Diakon Steiß und guckt forschend in die Runde.
«So, die Jugendlichen gehen dann bitte langsam rüber in die Zelte. Peter kommt in einer Stunde und guckt nach.»
Es nieselt immer noch, außerdem ist es echt ganz schön kalt geworden. Ich habe einen Schlafanzug mit Asterixmotiven und einen blauen Trainingsanzug mit. Bei den Bibbertemperaturen wähle ich den Trainingsanzug. Acht Uhr, es ist taghell, und alle sind noch total aufgekratzt. Schlafen, ein Wahnsinn! Detlef und Andreas gehen ins Waschhaus, ich bin mit Torsten allein. Torsten mit te, so ein Scheiß, ich beschließe, ihn den Namenlosen zu nennen, nur für mich, privat.
«Sag mal, ich hab dich noch nie vorher gesehen. Bist du neu hergezogen?»
«Ja.»
«Und von wo kommst du?»
«Kiel.»
Einsilbiger geht’s ja wohl nicht. Lässt mich voll auflaufen.
«Und wieso seid ihr hierhergezogen?»
«Mein Vater hat einen Laden übernommen.»
«Was denn für einen?»
«Ein Bestattungsunternehmen. Wir sind Bestatter in der vierten Generation.»
«Ach so.»
«Wenn du bei uns reinkommst, denkst du erst mal, du bist in ’ner Schreinerei gelandet. Wir stellen die Särge nämlich selber her.»
«Aha.»
«Früher haben ich und meine Schwester in den Särgen immer Verstecken gespielt.»
«Na ja, kann man nichts machen.»
«Es ist schon alles abgesprochen. Nach der Bundeswehr übernehme ich den Laden. Gerade in der Thanatopraxie sind in den letzten Jahren echt Fortschritte gemacht worden.»
«Hä? Was für ’n Vieh?»
«Thanatopraxie. So nennt man die Präparierung von Leichnamen.»
Seine Augen funkeln, und er rotzt mir, während er redet, vor Begeisterung ins Gesicht:
«Früher ist es voll oft vorgekommen, dass den Toten während der Beerdigung die Maden aus der Nase gekrochen kamen. Aber jetzt nicht mehr. Außerdem werden die Leichname immer mit so ’ner speziellen Gewürzmischung gefüllt, da kannst du Geruchsbelästigung praktisch ausschließen.»
Je länger er vom Tod spricht, desto lebendiger wird er.
«Wir haben auch ’ne eigene Messe, Bestattermesse, Intergrab heißt die. Dieses Jahr kommt als Neuheit die sogenannte Peacebox raus, sieht aus wie ein Umzugskarton, ist aber ein Sarg, aus Pappe. Aber das ist zweischneidig, weil
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