Fleckenteufel (German Edition)
doch.»
Willen- und wehrlos werden sie gelabert, getatscht, geschmachtet und dabei mit Dackelblicken ausgezogen. Pünktlich zum sechzehnten Geburtstag schlägt er zu, dann ist Schluss mit lieber Onkelpapaopabrummbär, und die Ernte wird eingefahren.
«Aber wir wollen uns nicht über diese Familie erheben, denn sind wir etwa besser? Kann einer von uns tatsächlich von sich behaupten, dass er besser ist? Unser Herz ist schwer und traurig und beladen mit Sünde. Und auch wir haben eine Maske, die verbergen soll, wie schwarz unser Herz ist und wie unrein unser Denken. Und wer wird nicht regelmäßig von bösen Gedanken befallen? Wir haben zwar niemanden ermordet oder etwas ganz Schlimmes getan, aber wir sind neidisch, misstrauisch und auf unseren eigenen Vorteil bedacht.»
Alle wissen Bescheid, auch Pastor und Gemeindevorstand, aber sie halten dicht, aus Angst vor einem Skandal, dass die Gemeinde mit in den Sexsumpf gezogen wird und der Propst oder Bischof die Kirche dichtmacht, und das war’s dann mit dem geilen Gebimmel am Sonntagvormittag.
Diakon Steiß (ganz tiefe und hohe Frequenzen verschmelzen zu einem unvergleichlichen Bassbariton):
«Kann es nicht auch sein, dass der nagelneue Füller meines Klassenkameraden, der so plötzlich verschwunden war, in meiner Federtasche gelandet ist? Ganz zufällig? Und ich glaube, das ist ja alles nicht schlimm, ist ja nur ein Füller, das ist bald vergessen, eine kleine Sünde, die nicht ins Gewicht fällt. Aber ob die Sünde nun klein ist oder größer oder ganz groß, das spielt für Gott keine Rolle.»
Ist das schon wieder ein Gelaber, fast noch schlimmer als die Abendandacht. Soweit ich weiß, hat auch Herr Steiß studiert.
«Er lässt nämlich nicht mit sich handeln. Mit Gott kann man keine Geschäfte machen, nach dem Motto: Jetzt habe ich gelästert und Geld aus dem Portemonnaie genommen und jemandem die Luft aus dem Fahrrad gelassen, aber auf der anderen Seite einer alten Frau bei ihren Einkäufen geholfen oder umsonst den Rasen gemäht bei jemandem, der wenig Geld hat, und deshalb komme ich doch bitte trotzdem ins Paradies. Darauf lässt sich Gott nicht ein, auf solch billigen Tauschhandel!»
Seinem Mienenspiel lässt sich nichts entnehmen. Ob er sich schon ein Opfer ausgeguckt hat und nur noch auf den perfekten Moment (Lagerfeuer, Nachtwanderung, Liederabend) wartet, um zuzuschlagen? Mein Blick bleibt bei Susanne Bohne hängen. Bitte, bitte, alles, nur nicht das. Susanne schwebt in Gefahr, in großer Gefahr sogar! Ganz zart und anmutig sieht sie aus, mit einer wunderbar schönen, geraden Haltung, wie eine Balletttänzerin oder Leistungsturnerin. Nie sieht man sie krumm über einem Stuhl hängen oder so was. Und dann diese Glocken. Steiß denkt an nichts anderes als an die Glocken von Susanne Bohne, nächtelang liegt er wach und grübelt und grübelt: Wie um alles in der Welt komme ich an die Glocken von Susanne Bohne?
Diakon Steiß (sein Stimmvolumen ist nun voll entfaltet):
«Bevor es endgültig zu spät ist, müssen wir begreifen, dass er unter uns ist, zu uns herabgestiegen und für uns gestorben. Nur er kann uns die Sünde abnehmen, unsere schwarzen Herzen reinigen und uns den Weg ins Paradies ebnen. Jesus glauben und ihm vertrauen ist der einzige Weg, den zu beschreiten sich lohnt.»
Seine Frau ist zehn Jahre älter als er und geht langsam, aber sicher aus dem Leim. Warum hat er sie nur geheiratet, wenn er doch nie etwas anderes als Susannes Riesenglocken im Sinn hatte? Antwort: Weil er sonst die Stelle nicht bekommen hätte! Die Angst des Gemeindevorstands vor dem unverheirateten Diakon: Vollkommen entfesselt mäht der geile Hirsch nieder, was ihm vor den Drescher kommt. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass es in den anderen Gemeinden genauso ist. Diakone sind echt die heißesten Böcke.
Diakon Steiß (ist er noch ein Mensch, oder spricht aus ihm schon der H(g)eilige Geist, haha?).
«Wie vieler und wie großer Sünden ihr euch schuldig gemacht habt, irgendwann müsst ihr euch vor ihm rechtfertigen, dann müsst ihr Rechenschaft ablegen. Aber der Trost ist, dass das Angebot von Jesus euer ganzes Leben gilt. Ihr solltet nicht vergessen, es anzunehmen. Gott und Jesus haben euch wirklich ein tolles Angebot unterbreitet. Amen.»
Jetzt glotzt er Susanne auf die Glocken, ich seh’s genau! Ihre Glocken machen ihn verrückt!
«Wir wollen nun aus dem Lied Nr. 5 die Strophen 3 und 4 singen.»
Zum Frühstück gibt es wieder nur Grau- und Schwarzbrot,
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