Fleckenteufel (German Edition)
doch nicht erzählen, dass du keine zwei Minuten Zeit hattest für ein kurzes Telefonat. Hallo, ich bin gut angekommen, mehr nicht. Oder ist das zu viel verlangt?»
Es hat einfach keinen Zweck.
«Nein, normalerweise nicht, aber mir war übel, von der Busfahrt, glaube ich, und ich hab mich gleich hingelegt. Ich war noch nicht mal mehr essen.»
«Thorsten, stimmt das?»
«Natürlich stimmt das.»
«Du weißt, dass ich an deiner Stimme höre, wenn du lügst. Ein Anruf beim Pastor, und ich weiß Bescheid.»
«Dann musst du eben anrufen. Ich sag die Wahrheit.»
Pause. Leises Atmen.
«Wann meldest du dich wieder?»
«Weiß nicht, wann soll ich denn?»
«Wann du sollst ? Thorsten, wenn das für dich eine unangenehme Pflichtveranstaltung ist, brauchst du dich auch gar nicht melden.»
«Dann in einer Woche wieder.»
«Wenn dir danach ist, ruf an, wenn nicht, lass es einfach bleiben.»
«Ja gut, ich probier’s, ist manchmal nicht so einfach, weil wir nur den einen Apparat haben, der muss schließlich frei sein.»
«Thorsten, willst du mich veräppeln? Selbst wenn der Apparat besetzt ist, dann probiert man das in einer Viertelstunde nochmal. Oder du gehst die paar Schritte zum öffentlichen Fernsprecher.»
«Ja.»
«Etwas einsilbig, mein Herr Sohn. Na, dann wünsche ich dir noch viel Spaß. Mach’s mal ganz gut.»
«Danke. Du auch.»
Pause.
«Und, soll ich niemanden grüßen?»
«Ach so, doch, natürlich. Schöne Grüße an Papa und Oma.»
«Na gut, ich dachte schon. Also, viel Spaß und gute Besserung, falls du’s nötig hast.»
«Danke. Tschüüs.»
Hoffnungslos. Das war so, ist so und wird auch so bleiben. Für immer. Die einzige Chance: Meine Eltern trennen sich, und ich darf zu meinem Vater. Angeblich wünschen sich alle Kinder, dass ihre Eltern zusammenbleiben. Ich bin da wohl die große Ausnahme. Bis vor einem Jahr hatte meine Mutter heimlich einen Freund, Egbert, und ich bin der Einzige, der es weiß. Eines Nachmittags, meine Mutter dachte, niemand wäre da, hat sie mit ihm telefoniert, und seither wusste ich Bescheid. Egbert. Man kann sich ja denken, was hinter einem solchen Namen ungefähr steckt. Wie die miteinander geredet haben, musste das schon jahrelang so gehen.
Meine Mutter war schon immer egoistisch, hartherzig und humorlos, aber seit einem Jahr ungefähr ist sie ganz und gar unerträglich. Ich vermute, dass Egbert sich von ihr getrennt hat, denn sie lässt sich seitdem total gehen. Mit meinem Vater geht’s äußerlich schon viel länger abwärts, er hat bestimmt dreißig Kilo zugenommen, ist durch die Kettenraucherei ganz kurzatmig, und Haare hat er auch kaum noch welche auf dem Kopf. Eine irgendwie hilflose, zerzottelte Erscheinung. Die Eltern meiner Freunde und Klassenkameraden sehen fast alle so aus, sie gleichen sich äußerlich mit den Jahren seltsam an, dicke, verwaschene, grobe, ungelenke Geschöpfe, die viel schlechter aussehen als nötig. Alles geht weg, und nichts kommt hinzu. Vielleicht trainieren sie ja schon fürs Altersheim.
Egal, meinen Vater mag ich, meine Mutter nicht. Wir passen einfach nicht zusammen, so einfach ist das. So was soll’s ja geben, und zwar öfter, als man denkt. Wär sie bloß mit Egbert abgehauen, als er sie noch wollte, jetzt ist es wohl zu spät, und sie wird mich so lange terrorisieren, bis sie vor lauter Hass und Langeweile tot umfällt oder ich mit achtzehn endlich von zu Hause ausziehen darf.
Klack. Aufgelegt. Ich werde nicht wieder anrufen.
Völkerball ist Krieg
Ich gehe zu unserem Zelt zurück und luge rein. Detlef sitzt schief und krumm auf seinem Bett und reißt am Nagel seines großen Zehs herum. Der ist schmutzig und so lang, dass er ganz wellig ist und vorne gelb angelaufen. Ich hab echt Augen wie ein Luchs. In sich versunken pult und reißt und gnabbelt er an seiner Mauke herum, und als er den Scheißnagel endlich abhat, schnüffelt er an ihm wie ein Hund am abgenagten Knochen. Pervers. Wie Oma mit dem Eingebrockten. Noch perverser ist, dass er ihn in ein Einmachglas tut, das er offenbar eigens für diesen Zweck mitgebracht hat. Es ist schon zu zwei Dritteln voll. Vielleicht hat er ja noch eins, für Fingernägel. Und eins für Popel. Eins für normale Popel. Eins für Arschpopel. Eins für Ohrenschmalz. Schuppen. Schorf. Schmant. Grieben. Placken. Oje, wenn das die anderen mitkriegen, Detlef wird es noch echt schwer haben. Ich trete ein paar Schritte zurück und stapfe extralaut wieder heran, damit er Gelegenheit hat, das Glas
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