Fleckenteufel (German Edition)
und soll allen Ernstes den Durst mit Tee löschen. In kleinen Schlucken, damit man sich nicht die ganze Fresse und die Speiseröhre verbrennt. Wer denkt sich so was aus? Die ernsthaft ernstgemeinte Begründung meiner Mutter: Tee sei das gesündeste Getränk überhaupt, weil es alle lebensnotwendigen Mineralien und Vitamine und Gerbsäuren enthalte. Eigentlich könne der Mensch auch nur von Tee leben. Diskussion beendet. Ich trinke deshalb immer viel zu wenig und habe wahrscheinlich schon mit zwanzig einen Nierenschaden. Die Kacknieren fühlen sich sowieso komisch an. Von Rechts wegen dürften die sich gar nicht anfühlen, gesunde Organe fühlt man nicht, die sind einfach da und funktionieren.
So, fertig. Die anderen Jugendlichen auch. Aber die Scheißerwachsenen essen wie immer schneckenlangsam, um uns zu quälen. Na ja, sie haben den ganzen Tag eh nichts vor. Der größte Quälgeist ist Pastor Schmidt. Vor jedem neuen Bissen inspiziert er seinen Teller, als müsste er erst mal gründlich überlegen, was er sich als Nächstes in den Vollbart schiebt. Etwas Hackbraten? Ein Kartoffelstückchen? Eine Gabel Mischgemüse? Hatte nicht bereits sein letzter Bissen aus einem Stück Braten bestanden? Denk denk, grübel grübel. Dann wäre nach Adam Riese Kartoffel an der Reihe! Gipfel des Terrors: Nach ungefähr jedem zehnten Bissen legt er das Besteck vollständig aus den Händen, faltet seine Hände zum Gebet (Hügel, A, Pyramide, was weiß ich) und unterhält sich oder sinniert. Unfassbar.
Ha, jetzt seh ich’s: Harald riecht an seinen Händen. Also hatte ich recht. Was da außer Scheiße wohl noch so alles dranklebt? Bakterien, Mikroben, Viren, Kroppzeug. Es bereitet ihm offenbar ein dumpfes Vergnügen, wie der Geruch von Scheiße, Pisse, Wichse, Schweiß, Dreck, Hackbraten, Mischgemüse und verkochten Kartoffeln sich zu einer Schwade vermengt. Nach dem Essen legt er sich bestimmt in den Schlafsack und lässt die versifften Hände im heißen, feuchten Dunkel ausdünsten, danach nestelt er an seinem eigenen großen, lappigen, faltigen, schmutzigen, zusammengeklebten Sack, er schiebt die Eier in die Bauchhöhle und wieder zurück in den Beutel, stundenlang geht das. Eier, Eier, Eier.
Ich weiß schon jetzt ganz genau, wie Harald in zehn Jahren aussieht: Vom Halbfischigen ins Ganzfischige gekippt, Haare ausgefallen, der Kopf, der ansatzlos in den mit roten Quaddeln zugewachsenen kurzen Hals übergeht, sondert ununterbrochen ein dickflüssiges gelbes Sekret ab, das den stumpigen Oberkörper hinunterrinnt und dann in den Ausläufern der blondroten Schambehaarung versickert, die eingewachsenen Finger- und Zehennägel gleichen Krallen, unter den Achseln dichte Nester mit Taubendreck, Milben, Sporen und Wurmeiern. Um jemanden zu töten, braucht er bloß den Arm zu heben und seinen Feind einen tiefen Zug aus der Achselhöhle nehmen zu lassen. Die Arschritze ist mit eingetrockneten Kotresten verklebt, die Eichel bedeckt von einer Pilzhaube, die abgestorbenen Hoden dunkelbraun angelaufen. In sämtlichen Falten, Kratern, Bunkern, Rissen nisten Schmutzinseln, Drecksatolle, käsige Gerinnsel, die Füße pilzige Stumpen. So ungefähr.
Smokie
Endlich macht Diakon Steiß dem Spuk mit einem kurzen Gebet ein Ende. Ich gehe eine rauchen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit dem Rauchen aufzuhören, aber andererseits: Was für eine Scheißidee, ausgerechnet im Urlaub das Rauchen aufzugeben. Alles nur wegen des Antiraucherabschreckungsfilms, den wir vor kurzem in der Schule gesehen haben: bis zum Anschlag verteerte Raucherlungen, abgeschnittene Gliedmaßen und als grausiger Höhepunkt ein Mann, dem sie in unzähligen Operationen das halbe Gesicht amputiert hatten und der durch das winzige, künstlich angelegte Atemloch am Kehlkopf weiterrauchte. Spitzname Smokie. Da ich schon mit elf mit dem Rauchen begonnen habe, kann es nicht mehr lange dauern, bis mir ein ähnliches Schicksal blüht. Nach den Sommerferien muss ich unbedingt aufhören, aber jetzt gerade nicht, denn ich benötige meine Energie, um die neuen, ungewohnten Bedingungen zu beherrschen, bevor die Bedingungen mich beherrschen. Was die Nichtraucherfibeln nämlich verschweigen: Unter extremen Umständen, wie etwa Kriegsgefangenschaft, haben Raucher eine höhere Lebenserwartung als Nichtraucher, weil sie sich wenigstens auf etwas freuen können, nämlich auf eine gegen die tägliche Portion Wassersuppe getauschte Zigarette, die sie bei Temperaturen weit unter null in
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