Fleckenteufel (German Edition)
sind fanatische Christen, ganz unangenehme Leute:
Christ sein heißt schuldig sein.
Jeder Christ muss sich bewusst sein, dass er Jesus persönlich ans Kreuz genagelt hat.
Man kann als Mensch nicht existieren, ohne sich jeden Tag aufs Neue schuldig zu machen.
Leben heißt sündigen.
Ganz am Ende steht man vor Gottes Thron, und dann gibt’s Saures.
Usw.
Mich wundert, dass sie Karin überhaupt haben mitfahren lassen, wo doch Freizeiten als Hort der Sünde gelten, das hat sich sicher auch bis zu denen rumgesprochen. Aber wahrscheinlich finden sie ihre Tochter so hässlich, dass sie sich nicht vorstellen können, wie jemand freiwillig an ihr rumschrauben möchte. Arme Karin. Aber heute ist es schön, heute gibt’s Persico und ein lustiges Äffche, das die Zeltgemeinschaft unterhält. Befeuert durch einen halben Liter Apfelkorn, bin ich derart außer Rand und Band, dass ich zucke und rassele und schnattere wie eine schöne deutsche Maschinenpistole im Zweiten Weltkrieg. Ganz ungewöhnliche Geräusche kommen aus mir heraus:
HRRREE, GOOOÄÄÄ, HEHRHEHRHEHR, ZSSSSHCKAAO, so was in der Art.
«Ey, guck mal, was mit Thorsten los ist, was ist denn mit dem auf einmal los?»
«Keine Ahnung, der dreht voll auf.»
«Ey, Todde, was los mit dir.»
Ich: «GRIERRRRBOOOOONNNGGGGUUUURRGTRÖÖÖÖT.»
«Ich brech zusammen. Was heißt das denn auf Deutsch?»
Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Das hätte mir keiner zugetraut. Ich benehme mich wie ein Irrer, ich weiß selber nicht, was genau ich da eigentlich mache. Sämtliche angestaute Wut und Trauer und Enttäuschung und schlechtes Wachstum brechen sich Bahn, befeuert durch den Dämon Apfelkorn. Bei Schwermut Wermut.
Mir kommt eine Idee: Ich habe neulich im Fernsehen Ausschnitte aus einem amerikanischen Gottesdienst gesehen, wo der schwarze Pastor im Verlauf seiner Predigt völlig außer Rand und Band geriet und seine Gemeinde in religiöse Ekstase quatschte. Das ist es!
GRRÖÖÖTTZZZZUUUUMMMMDIIII.
«Haha, Todde, hör mal auf, ich kann nicht mehr!»
Aufhören? Jetzt geht’s erst richtig los!
«Hört ma alle zu», rufe ich.
Da ich einen Lauf habe und überirdische Kräfte entwickle, lauschen mir alle gebannt:
«Brüder, ihr wisst, dass ich bald dieses irdische Leben verlassen muss, aber ich weiß, das nächste wird ein besseres sein. Lobet den Herrn.»
Ich lasse eine Pause. Dann sagt Tiedemann leise: «Jo.»
«Ich habe es verdient zu sterben, denn ich habe sehr viel Böses getan. Auch ihr, jeder Einzelne von euch hat seine Strafe verdient. Lobet den Herrn.»
Jetzt machen auch Heiko und Roland mit: «Jo.»
«Ich werde mich nicht beklagen, und auch ihr sollt euch nicht beklagen, denn ihr könnt genauso gerettet werden, wie ich gerettet wurde vom allmächtigen Gott, der erst hier zu mir gekommen ist. Aber es ist auch für euch nie zu spät. Lobet den Allmächtigen.»
«Jo.»
«Ihr seid schwach.»
«Jo.»
«Ihr seid klein.»
«Jo.»
«Wollt ihr Buße tun und den Herrn loben für seine Liebe und seine Güte?»
Jetzt steigen auch die Weiber mit ein:
«Jo.»
Ich bin der Chef, und alles tanzt nach meiner Pfeife!
«Ich möchte euch heute eine Geschichte erzählen, und ich will sie vor Gott, dem Herrn, und seinem Sohn Jesus Christus erzählen.»
Alle begeistert: «Jo.»
Sollte ich vielleicht Theologie studieren? Weiter geht’s:
«Ihr sollt euch dafür bedanken, dass ihr hier im Gefängnis seid, ihr sollt euch bei Pastor Schmidt bedanken, bei Peter Edam und Wolfgang Steiß und bei Frau Thieß, dass ihr zu essen und zu trinken bekommt, denn ihr habt es genauso wenig verdient wie ich. Aber der Herr hat mich gerettet, und so will ich meine armselige Existenz dazu nutzen, den Allmächtigen zu preisen und von seiner Liebe zu berichten. Wollt ihr jetzt eine Geschichte hören?»
«Jo.»
«Soll ich sie euch in allen Einzelheiten erzählen?»
«Jo.». (noch lauter)
Sagenhaft. Wir haben jede Vorsicht aufgegeben, denn die Vorstellung ist zu geil, als dass sie unterbrochen werden dürfte. Keiner darf das, noch nicht mal der Pastor.
«Es war vor vielen Jahren, ich streifte wie fast jede Nacht durch schmutzige kleine Bars, in denen schmutzige und böse Menschen waren. Ich hatte Alkohol getrunken und Drogen genommen. Ich ging von einer Bar zur nächsten, bis ich diesen jungen Mann traf. Er war fremd in der Stadt und sprach mich an, weil er eine Schlafgelegenheit suchte. Sofort schmiedete ich einen furchtbaren Plan. Ich nahm ihn mit nach Hause und gab ihm Alkohol und
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