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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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trennt.
    «Ey, ich weiß, dass das hart is jetzt, aber da musst du durch. Besser is, wenn du das auskotzt. Pass auf, ich hol dich inner halben Stunde wieder rein, dann hast du’s hinter dir. Okay?»
    Was soll ich sagen?
    «Ja.»

    Warum hat Tiedemann mir bei der Schweinekälte keine Decke oder Jacke dagelassen? Kameradenschwein! Niemals hätte ein Landser im Zweiten Weltkrieg einen Kameraden so jämmerlich verrecken lassen.
    Es ist der Heilige Abend 1942. Seit Tagen hause ich alleine in einem verschütteten Keller irgendwo im Zentrum Stalingrads. Von dem fünfstöckigen Gebäude des Hauses existiert nur noch das Erdgeschoss. Der Steckschuss im linken Oberschenkel bereitet Höllenqualen, mit jeder Stunde wird es schlimmer. Plötzlich ein polterndes Geräusch über mir. Jetzt haben sie mich! Mit lautem Krachen öffnet sich die Falltür. Doch ich blicke nicht in eine von Hass verzerrte Mongolenfratze, sondern in die stahlblauen Augen des Obergefreiten Bartels.
    «Bartels, dich schickt der Himmel.»
    «Oder die Hölle», raunt der Obergefreite in seinen blaugefrorenen Bart. Er schüttet den Inhalt seines Rucksacks auf den Boden. «Bescherung», brummt er und packt zwei zerlöcherte Decken, den Gaskocher und ein großes Stück Fleisch aus. Es braucht Stunden, bis das Fleisch auf der winzigen Flamme gar wird, aber noch nie hat mir etwas so gut geschmeckt. Während ich gedankenverloren vor mich hin kaue, durchzuckt es mich plötzlich. Woher hat …? Als ob der Obergefreite meine Gedanken lesen könnte, schaut er mich durchdringend an und sagt nur ein Wort: «Iss.»

    Meine Eingeweide flattern, die Kotze pumpt und drückt, ich werde die aufsteigenden Schwälle nicht mehr lange zurückhalten können. Bitte, bitte nicht! Vielleicht verwandelt sich die Kotze in Scheiße, wenn man nur lange genug durchhält. Das ganze Vogelschutzgebiet starrt mich an: «Guck dir mal den Idioten an, hat zu viel gesoffen, und jetzt muss er gleich kotzen, krrr, krrrr.» Scheißplärrviecher, euch stopf ich schon noch das Maul. «Hast du dir eigentlich schon mal in die Fresse reingekotzt?» Ich stelle mir vor, wie ich in mich selber reinkotze. Wenn man besoffen genug ist, geht das bestimmt irgendwie. Und dann kann ich’s nicht mehr länger zurückhalten.
    HUUUAAAALPP.
    Ich hänge meinen Kopf über den Zaun und kotze ins Vogelschutzgebiet, dabei packt mich ein unbändiger Hass auf die Viecher. «Ja, jetzt pickt euch mal schön die fettesten Brocken raus», denke ich, und bei der Vorstellung, wie die Seemöwen die Brocken aus meiner Kotze picken, gierig verschlingen und daran krepieren, kommt’s mir gleich nochmal.
    AAAAARRGGGHH.
    Ich kotze und brülle, mit allerletzter Kraft ziehe ich mich am Pfosten hoch und schaue aufs Feindesland. Die Vögel sind alles Russen.
    UUUAAARRRGGHH.
    Ich hasse die Vögel und die Russen und Susanne Bohne.
    Ich würge wie ein Wahnsinniger, bis nichts mehr in mir drin ist außer Galle. Galle, Galle, Galle. Es tut höllisch weh, ich kann gleich nicht mehr. Nochmal:
    AAAAAIIIIIIRRGGGGGH. AAAAAIIIIIIRRGGGGGH. AAAAAIIIIIIRRGGGGGH.
    Meine Schreie werden höher und gleichzeitig schwächer. Die Kotze verätzt mir die Speise- und Luftröhre und alle weiteren Röhren, aus denen ich bestehe. Mir wird schwindelig, und ich sinke zu Boden. Wo ist Tiedemann eigentlich, der wollte mich doch schon längst geholt haben? Scheißdeadheads. Ich lege meinen Kopf ins Gras, und es erfüllt mich mit böser Genugtuung, dass ich die Kotze wenigstens zu den Viechern rübergebrochen habe. Dann wird mir schwarz vor Augen.

    Als ich wieder erwache, ist es schon fast hell. Keine Ahnung, wie spät, vielleicht halb fünf? Oder halb sechs? Oder fünf? Ich friere, wie ein Mensch vor mir noch nicht gefroren hat, außerdem ist mir immer noch total kotzig. Und ich habe Arschdruck. Kacken, endlich, endlich kacken! Bibbernd torkle ich zur Baracke. Peter Edam liegt in embryonaler Haltung am Fuß der Treppe. Irgendwas Gelbgrünes ist aus seinem Mundwinkel gelaufen und aufs T-Shirt getropft. Sein rechtes Bein ist total verdreht, in der Luft liegt leichter Scheißegeruch. Vielleicht hat er einen Schlaganfall erlitten? Dann geht’s um Minuten. Ich stoße ihn sanft an, er dreht seinen Kopf schräg zur Seite, öffnet die Augen und murmelt:
    «Seusmikade.»
    Hä? Was soll das denn sein? Der Name eines engen Angehörigen, vielleicht seiner Mutter. Aber Seusmikade?
    «Thorsten, Thorsten!»
    «Ja? Was ist denn?»
    «Du darfst niemandem etwas sagen. Versprichst du mir

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