Fleckenteufel (German Edition)
Abend nichts anderes im Sinn gehabt, als mich endlich aufs Klo zu verziehen und mir selber in den Arsch reinzukacken. Ich renne aus der verfickten Behelfsdisco, wanke über den Zeltplatz und verkrieche mich zitternd wie ein sterbender Hund im Zelt. Wie soll ich mich jemals im Leben davon erholen?
Selbst zum Lesen bin ich zu schwach, nur Rauchen geht noch, eine nach der anderen. Mit jedem Ein- und Ausatmen kommt ein Pfeifen aus meiner Lunge, das ist bestimmt kein gutes Zeichen. Viertel nach elf kommen die Mongos zurück. Selbst die sind in ausgelassener Stimmung.
Schwanzandreas brüllt: «Und dann hat die voll doiiinngg, ey, ich dachte, ich glaub’s nicht, das gibt’s doch nicht.»
Für sein perverses Gestammel müsste man ihn ohrfeigen, bis er einen Steifen kriegt.
Die Antwort des Namenlosen: «Ich dacht auch voll, ey, was ist da denn los? Echt, uuiiippp, dann nochmal und so, ey, hab ich noch nicht erlebt.»
Jetzt meldet sich sogar Detlef zu Wort: «Ey, ey, so uuuoonng, voll so rein, und dann gooooaa, voll.»
Sie lassen sich übertrieben auf ihre Betten plumpsen.
«Logisch, ooiing, ich dacht, was ist das denn.»
«Rrroouung, das hältst du im Kopf nicht aus.»
Für mich sind das keine Menschen mehr, sondern Tiere. «Hassu gesehen, sie so hinter mir, und dann gooiingg.»
Ich fasse es nicht. «Sie so hinter mir» kann ja nur bedeuten, dass irgendwas war . Der Namenlose! Jemand, dessen einziges Vergnügen darin besteht, Tote zu waschen und unter die Erde zu bringen, dem der Leichengeruch aus allen Poren gekrochen kommt, hat was am Laufen gehabt! Pervers. Ich bin fremd im eigenen Zelt. Wenn ich nur nach Hause gefahren wäre, damals. Jetzt ist alles noch viel schlimmer geworden.
Im Moment größter Verzweiflung steckt Tiedemann seinen Kopf durch den Zelteingang, schaut mich wortlos an und nickt mir zu. Gott sei Dank, Gott sei Dank, Gott sei Dank, sie haben mich nicht vergessen! Der liebe Gott hat seinen Sohn auf die Erde geschickt, und der heißt ab jetzt Tiedemann. «Lieber Gott, vielen Dank», bete ich. Stoßgebet nennt man das.
Sie haben bereits eine Pulle Apfelkorn für die Jungs und eine Persicoflasche für die Mädchen geöffnet. Selbst Karin trinkt mit, allerdings verdünnt sie ihren Persico mit irgendwas, ich kann es in der Dunkelheit nicht genau sehen, wir dürfen keine Kerzen anmachen, und leise müssen wir auch sein wegen möglicher Kontrollen. Sagenhaft, Apfelkorn schmeckt original wie Apfelsaft, kein Spruch. Tiedemann, als er sieht, wie ich die Plörre in großen Schlucken reinkippe:
«Ey, Alda, mach ma langsam, da ist voll viel Alkohol drin, das merkst du gar nicht, aber bei Apfelkorn musst du echt aufpassen, das ist kein Spaß.»
Da Tiedemann immer recht hat, nehme ich mir vor, seinen Rat zu beherzigen. Bereits nach ungefähr zwanzig Minuten fühle ich mich ungefähr 12 000 Prozent besser. Wieso hat mir niemand gesagt, dass es so was Geniales wie Apfelkorn gibt? Derjenige, der mir das verschwiegen hat, ist bestimmt der Gleiche, der mir auch Bukowski vorenthalten hat. In meinem Kopf vermischt sich alles aufs herrlichste, außerdem weiß ich, dass ich recht habe. Während Heiko und Roland an ihren Bräuten rumschrauben, klärt mich Tiedemann über seine Zukunftspläne auf:
«Ich weiß schon, wie das weitergeht. Meine Alden, ey, die ham Kohle ohne Ende, mein Vadda hat ’ne Baufirma, da ziehen die ganze Siedlungen mit hoch in einer Woche und so, das is mir aber scheißegal. Mein älterer Bruder ist vor zwei Jahren gestorben, und meine Alden wolln, dass ich den Laden übernehm, normal. Ich tu so, als ob, aber ich mach nur Abi, und dann hau ich ab.»
«Wie, abhauen, wohin denn?»
«USA. Ich geh mindestens für ein Jahr dahin und zieh mit den Deadheads mit.»
«Deadheads, was ist das denn?»
«Sach mal, bissu bescheuert, willssu mich verarschen?»
«Nee, echt nicht, Tiedemann, echt nicht.»
«Na egal. Deadheads sind die Fans von Grateful Dead, Alda, die denen zu jedem Konzert hinterherreisen. Das ist das Geilste überhaupt. Und da fahr ich mit, mal sehen, was sich so ergibt.»
«Aha.»
«Ja.»
Karin trinkt einen großen Schluck und scheint sich halbwegs wohl in ihrer Haut zu fühlen, vielleicht das erste Mal in ihrem Leben. Sie reißt sich kleine Hautfetzen von der Handinnenfläche herunter und zerkaut sie, weil sie denkt, dass keiner guckt. Von wegen, ich sehe alles. Ich mag ihre rissigen Hände und ihre zerbissenen Nägel. Sie ist die jüngste von drei Schwestern, ihre Eltern
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