Fleckenteufel (German Edition)
diesem Satz angekündigt hat.
Ilja Richter: «Einen wunderschönen guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren, HALLO, FREUNDE!»
Alle: «HALLO, ILJA!»
Über die Sketche von und mit Ilja Richter können noch nicht mal die armen Landser im Zweiten Weltkrieg lachen.
Sorry Seems to Be the Hardest Word. Steiß schaltet das Deckenlicht aus, obwohl er sich ins eigene Fleisch schneidet, weil er jetzt nichts mehr zum Aufgeilen hat, der Bock. Dunkel hin, dunkel her, ich habe Augen wie ein Luchs: Heiko im Clinch mit Susanne, Roland mit Petra. Karin, Tiedemann und noch ein paar andere Ladenhüter (Peter Behrmann) bleiben sitzen, ich sowieso. Nächster Engtanz. Und noch einer. Und noch einer: Angie von den Stones. Angee, Aaangee. Ich hasse Mick Jagger. Irgendjemand macht das Licht ganz aus. In dem Moment, unvermeidlich, Je t’aime , das Lied der Lieder. Der lange, dürre Karsten Petermann: «Ey Leute, jetzt aber keine Gefühle kriegen.»
«Je t’aime, uuhh, je t’aime.» Das Gestöhne geht mir durch Mark und Bein. Ich will auch mal, darf aber nicht. Das Leben ist eine einzige Zumutung. Ich weiß, dass alle meine zukünftigen Tanzabende diesem hier bis aufs Haar gleichen werden. «Oh, mon amour, mon amour, je t’aime.» Niemals wird eine so etwas zu mir sagen. Ich falle in ein eisiges Loch, tiefer und tiefer, bis ganz nach unten, wo die Dunkelheit am dichtesten ist.
Plötzlich geht das Licht an. Irgendein Spielverderber will sehen, wer gerade mit wem zugange ist. Susanne und Heiko, Roland und Petra, voll auf Zunge. Und noch ein paar andere, eigentlich alle. Sie küssen sich, als wollten sie einander austrinken, die Schweine. Irgendwann reicht’s auch mal. Der Meinung ist wohl auch Wolfram Steiß, der den dummen Peter zwingt, wieder schnellere Musik aufzulegen. Bobby Brown von Frank Zappa. Jetzt, endlich, schlägt Tiedemanns Stunde: Er stürmt im Pfeffer-und-Salz-Mantel auf die Tanzfläche und wiegt sich mit geschlossenen Augen zur Musik. Sexual Spastic. Ja. Kiss my heinie. Ja, ja. Den Discjockeys geht langsam die Puste aus, sie haben nichts mehr in petto und wiederholen die Stücke der ersten Stunde, Bay City Rollers, Slade, Rubettes, Dingsbums, Dingbums. Macht nichts, die Stimmung könnte besser nicht sein, jeder mit jedem, wenn’s läuft, dann läuft’s. Heiko tanzt echt gut, wie schwärmende Bienen klumpen sich die Mädchen um ihn herum, aber sie haben natürlich keine Chance, gegen Susanne Bohne hat keine eine Chance. Sie kann Jungs innerhalb von Sekunden verrückt machen. Wie macht die das bloß, nur an den Glocken allein liegt es nicht. Egal, alle sind, mit allen verklebt, auf der Tanzfläche.
Ich bin, als wäre ich nicht. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er mit lauter bösen, kleinen Stofftieren verstopft, meine Hände werden feucht vor Verzweiflung und einer lähmenden, bleischweren Angst. Längst habe ich den Punkt überschritten, an dem es mir möglich gewesen wäre, mitzukaspern und Spaß wenigstens vorzutäuschen. Warum fordert mich eigentlich niemand auf, wenigstens aus Mitleid, wir sind doch eine christliche Gemeinschaft! Wenigstens Gundula, aus Dankbarkeit für das Veilchen, haha. Schöne Christen sind das, goanix sind die. Warum kann denn niemand mein verdammtes Herz anrühren und es zum Schlagen bringen?
Wo ist Karin eigentlich? Wahrscheinlich längst im Zelt. Schade, wir könnten ein schönes Zwergentänzchen aufführen, dann wären wir die Kings. Meine Füße sind kalt und taub und schwer, ich bin an meinem Stuhl festgewachsen, mehr Pattex geht nicht, ach Gott, ach Gott. Ich schaue auf die Uhr, halb elf, um elf hat der Spuk ein Ende, dann kehren Pastor Schmidt und die Erwachsenen zurück. Sweet: Blockbuster! In Blockbuster gibt es eine Explosion, keine Ahnung, wie die das gemacht haben, Explosion, geil, egal, für mich war’s das jetzt endgültig. Ich brauche bestimmt eine volle Minute, um mich zu erheben, zum Glück hat das keiner gesehen. Unauffällig schleiche ich an der Tanzfläche vorbei zum Ausgang. Doch ich habe die Rechnung ohne Harald gemacht. In letzter Sekunde sieht er mich, stürmt mit hochrotem Backpfeifengesicht und wild mit den Armen rudernd auf mich zu und brüllt mir voll ins Gesicht: SAG MAL, KANN ES SEIN, DASS DU DIR JETZT MAL SO RICHTIG SELBER IN DEN ARSCH REINKACKST? Er schreit so laut, dass es alle mitkriegen, mitkriegen müssen, trotz der lauten Musik. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Jetzt, davon bin ich überzeugt, wissen alle Bescheid: Ich habe den ganzen
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