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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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wie erstarrt am Telefon. „Hierher kommen...?“
    Balduin will aufspringen, aber bleischwer klebt er am Sessel.
    „... ausgeschlossen, Frau Lehrmann...“ Balduins Herz geht einen Takt ruhiger.
    „... wirklich ganz ausgeschlossen. Die Schulordnung... Denken Sie, bitte, an die Schulordnung... „
    Balduin zieht sein Taschentuch. Im selben Augenblick flieht die Sommerfliege vor ein paar Schweißtröpfchen, die auf das kahle Kopfplateau perlen, und ist auf und davon.
    »... ich habe jetzt keine Zeit, ich bin in einer dringenden Konferenz... „
    Balduins Taschentuch tupft über den Kopf, geht aber den letzten Härchen bedachtsam aus dem Wege.
    „... Guten Morgen!... Bitte, bitte, das macht gar nichts...!“
    Tithemi klinkt den Hörer ein. Erhebt sich. Stößt mit den Kniekehlen den schweren Sessel zurück. Schüttelt gedankenschwer mit dem Kopf. Die Sommerfliege meldet sich wieder.
    „Herr Kollege... äh, Herr Amtsgenosse“ — wenn Tithemi ganz amtlich wird, vermeidet er grundsätzlich Fremdwörter — »... Herr Amtsgenosse, ich muß Sie um eine gründliche Klärung der Dinge bitten. Sie können sich wohl denken, weshalb ich Sie hierhergebeten habe... „
    Tithemi geht einige Schritte auf und ab, gesenkten Kopfes.
    „Ich muß Sie ganz amtlich bitten, Herr Amtsgenosse.“
    Tithemi wirft sich in die Brust. Viel ist nicht zu werfen. Aber er stellt sich aufrecht hin, legt den Kopf amtlich in den Nacken, spielt unamtlich mit einem Bleistift zwischen den Fingern.
    Balduin hat sein Taschentuch wieder eingesteckt. Er soll sich etwas denken können...? Kann man mit einem so wehen Kopf überhaupt noch etwas Vernünftiges denken?
    „Die Sache ist nämlich die, Herr Direktor... „ Tithemi klopft ein paarmal mit dem rechten Fuß nervös und ungeduldig auf den Boden, weil Balduin innehält. Peinliche Stille. Eine zweite Fliege findet sich ein, die gerade vor Balduins Nase mit der ersten einen Reigen tanzt.
    Tithemi, ganz Wurde, ganz amtlich, ohne den Bleistift zwischen den Fingern:
    „Herr Amtsgenosse, Sie sind beschuldigt, heute nacht gegen halb zwei Uhr einen Einbruch in die Villa Sonnenblick versucht zu haben!“
    Balduin rührt sich nicht. Still und stumm hört er, wie von ganz fern, die scharf gesprochenen, amtlich betonten, dienstlich forschenden Worte Tithemis.
    „Oberlehrer im Ruhestand Grevel hat Sie genau beobachtet und auf das deutlichste festzustellen vermocht, wie Sie sich Einlaß in die genannte Villa zu verschaffen suchten. Er sah sich genötigt, diese seine Beobachtungen der Polizei mitzuteilen. Nur meinen freundschaftlichen Beziehungen zum Polizeikommissar, dem — das darf ich klar sagen — die Sache wohl ebenso unglaublich erschien wie sie m i r jetzt, nach dem Anruf Ihrer Frau, zu meinem größten Bedauern nicht mehr erscheinen kann... nur meinen Beziehungen zum Kommissar also ist zu danken, daß Sie nicht gleich verhaftet wurden und es mir, Ihrem Amtsgenossen, überlassen blieb, eine erste Untersuchung anzustellen... „
    Tithemi geht würdevoll einige Schritte auf und ab, nimmt wieder Haltung an, fährt fort:
    „Herr Kollege, äh... Herr Amtsgenosse, ich frage Sie allen Ernstes: stimmt das?“
    Die Fliegen summen.
    Die Luft ist warm.
    Draußen, auf dem Korridor, ganz weit, schlägt eine Tür.
    „So etwas, so etwas!“ seufzt Balduin.
    Tithemi zieht das vorletzte Register seiner Stimme, gibt aber etwas von der Ärmlichkeit, auf, nimmt wieder den Bleistift:
    „Stellen Sie sich vor, die Öffentlichkeit erfährt davon! Haben Sie denn nicht an das Ansehen der Schule gedacht, als Sie... als Sie... den... den — Einbruch versuchten?“
    Balduin erhebt sich. Er begreift plötzlich den ganzen Ernst der Situation. Die letzten Worte Tithemis klangen ihm gar nicht mehr wie von ganz fern.
    „Einbruch, sagten Sie? Ich lache! Ich kann nur lachen! Verleumdung, Herr Direktor! Ich bin sprachlos!“
    Balduin setzt sich wieder.
    „Ich werde Ihnen alles erzählen.“
    Tïthemi setzt sich ebenfalls.
    „Ein Wort unter Männern, Herr Direktor... „ Tithemis scharfe Stirnfalten glätten sich, aber etwas von Strenge und Amtlichkeit liegt doch noch in ihnen.
    „Herr Kollege, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß private Dinge eigentlich nicht in mein Amtszimmer gehören. Nach Lage der Dinge scheint es aber angebracht, daß Sie mich die geheimnisvollen Dinge — denn um solche handelt es sich doch wohl de facto —, die sich heute nacht abgespielt und den Oberlehrer im Ruhestand Grevel zu einer
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