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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ruland
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durchgetapst. Balduin bleibt im Hausflur stehen, der zu den Gastzimmern führt. Eben kommt Fritz, Kellner vom „Vater Rhein“, aus der Küche. Ein letzter Gast hat noch Ragout fin gewünscht.
    „Pst, pst! Wo ist der Wirt? Sagen Sie ihm Bescheid. Sie sehen ja, unangenehme Sache...“
    Fritz versteht. Balduin sinkt erschöpft in einen der beiden Korbsessel, die da stehen. Jetzt ist ja alles gut. Nun wird nichts geschehen...
    Theobald ist da. Rock aus, Hemdsärmel hochgekrempelt, Zigarre im Mund, vergnügt wie immer, rauh-herzlich, ganz Wirt vom „Vater Rhein“: „Kommen Sie nur herein. Herr Studienrat! Wir sind ganz unter uns. Ach was, das bißchen Blut — macht nichts! Fritz, hol’ mal Leukoplast, bring’ auch einen Schwamm mit.“
    Balduin wehrt sich. Aber Theobald hat ihn schon unter den Arm gepackt, ist schon mit ihm im Gastzimmer.
    „Haaah! Unser Studienrat! Prost, mein Freund! Die alten Deutschen tranken immer noch eins! Fritz, ein Glas Bier für den Herrn Studienrat... „ In der Ecke, an dem runden Tisch ohne Decke, macht Gabriel sich breit. Er sitzt schon seit heute morgen hier. Gabriel, geboren in Köln, mit Rheinwasser getauft, mit Humor gewaschen und mit Derbheit ein prächtiger Fünfziger geworden, ist der Buchhändler am Ort.
    Was Gabriel macht, das macht er ganz. Halbe Sachen liebt er nicht. Gabriel ist stets solide. Drei Monate lang. Aber alle drei Monate „kommt es einmal über ihn“. Dann macht er seinen „Zug“. Dann dreht er mal am Rad der Welt. Achtundvierzig Stunden lang. Augenblicklich ist es wieder über ihn gekommen. Seit dem frühen Morgen sitzt er bei Theobald. Gabriel ist selig, aber nicht betrunken. Balduin bringt ihn in helle Begeisterung...
    „Alter Knabe, auf dich habe ich gewartet! Freund meines Busens, komm’ her und trink’ mit!“ Gabriel, massig und breit, erhebt sich:
    „Großartig, das nenne ich einen Mann! Gesicht zerkratzt, und dennoch trinken wollen! Fritz, wo bleibt das Bier für den Herrn Studienrat?“ Balduin ist gar nicht zumute nach Bier. Fritz ist da. Mit dem Schwamm. Und dem Leukoplast. Theobald hat Balduin in fünf Minuten verarztet. Derweil hält Gabriel große Reden. Und dann: „Sie, junger Mann — hier sehen Sie meinen guten, lieben Freund, den Herrn Studienrat!“
    Der junge Mann, der in der anderen Ecke des Zimmers sitzt und außer Balduin und Gabriel der einzige Gast im Lokal ist, blickt einmal kurz auf, vertieft sich gleich wieder in sein Ragout fin. Der junge Mann ist eigentlich gar nicht mehr jung und trinkt zu seinem Ragout fin Fleischbrühe. Mit Einlage.
    Er wohnt seit einigen Tagen im „Vater Rhein“ und hat in das Gästebuch, in die Berufsspalte, „Privatgelehrter“ eingetragen. Theobald mag ihn nicht leiden. Nein, nicht wegen seiner seltsam hohen Stehkragen oder seines Zwickers, der peinlich genau auf seiner Nase sitzt. Theobald kann Leute, die keinen Alkohol trinken und zum Frühstück „Kaffee verkehrt“ wünschen, nicht ausstehen. Er leidet erst recht keine Leute, die zum Mittagessen ein Glas Pumpenheimer bestellen. Tagsüber kraxelt der nicht mehr junge Mann in den Steinbrüchen hinter der Stadt herum. Was er dort macht, weiß Theobald nicht genau. Geodäsie oder so nennt man das — Theobald kennt sich da nicht aus. Heute abend hat der nicht mehr junge Mann bis halb zwei Uhr auf seinem Zimmer hinter den Büchern gesessen.
    Gabriel setzt Balduin ein Glas an den Mund. Balduin trinkt. Es schmeckt ihm wieder. Er ist bald ganz da. Er taut auf. Was denn schon! Man ist doch ganz unter sich. Der nicht mehr junge Mann kümmert ihn nicht. Balduin trinkt weiter. Emma ist weit, das Bier so nah.
    Balduin vergißt seinen letzten Schmerz. Er möchte die ganze Welt umarmen, denkt nicht einmal daran, daß er morgen eine Stunde Erdkunde in der Oberprima zu geben hat, weiß aber, daß da drüben in der Ecke so ein seltsamer Heiliger sitzt. Er hat ihn sich schon lange betrachtet. Und Balduin verkündet mit kratziger Stimme, mit „hicks“ und „hupp“ als Einlage:
    „Wenn ich zu sagen hätte, dann müßte es verboten sein, überhaupt etwas anderes als Wein oder Bier zu trinken!“
    „Holla, holla, Schnaps doch auch!“
    „Unterbrechen Sie mich nicht! Natürlich, auch Schnaps, Freund Gabriel!“
    Der nicht mehr junge Mann sieht entrüstet auf. „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns! Wie, das paßt Ihnen nicht?“
    Der nicht mehr junge Mann springt auf.
    „Herr Wirt, ich verbitte mir...“
    „Fritz, bringen Sie dem Herrn da ein paar

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