Flegeljahre am Rhein
Knips. Fertig.
Das wird ein Bild! Emma ist außer sich und findet keine Worte mehr. Sie weiß nicht, wie sie das ganze Glück fassen soll. Der Himmel hängt voller Geigen. Der Kafieetisch steht voller Schüsseln und Tassen und Kännchen und Kannen. Die Sonne scheint ins Zimmer. Der Frühling ist da.
Emma will etwas sagen. Sie findet keine Worte. Sie sieht nur das lächelnde Gesicht Klothildens. Sieht das zufriedene Gesicht... ach, lieber Schwiegersohn, laß dich umarmen! Komm’ her und blick’ in meine Augen! Sieh mich an, holder Verlobter meiner Tochter! Könnte doch die ganze Stadt es sehen!
Es ist Frühling. Frühling am Rhein. Frühling ganz besonders in der Peterstraße 7a.
Balduin im schwarzen Anzug. Er ist ihm zu eng geworden. Was tut es schon? Es ist Frühling am Rhein. Es ist Verlobung. Richtige Verlobung. Besuch ist gekommen. Die Eltern des Bräutigams. Die Schwester Emmas. Der Pastor aus Rebenheim. Und die Tante ist da. Und der Onkel „hat es sich auch nicht nehmen lassen“. Und sowieso, der Vetter aus Dingskirchen macht auch gerne eine Verlobung mit.
„Herr Photograph! Noch ein Familienbild! Eine bleibende Erinnerung an diesen großen Tag!“ Emma zupft ihre große Busenblume zurecht. Klothilde strahlt. Der Bräutigam strahlt. Alles strahlt. Einschließlich Sonne.
„Mein Kind, du mußt Murri auf den Arm nehmen! — Murri! Murri!“
Kater Murri meldet sich zur Stelle. Sehen Sie, Herr Bräutigam, wie schön Klothilde das Kätzchen halten kann! Der Bräutigam braucht sich keine Sorgen zu machen. Er hat die richtige Braut gefunden...
Meine Herrschaften, bitte, recht freundlich! Balduin, nehmen Sie gefälligst die Zigarre aus dem Mund! Onkel Otto, den Kopf hoch! Tante Eulalia, etwas mehr Positur, etwas mehr Lächeln! So strahlen wie Emma, bitte.
Emma hat auch allen Grund zum Lachen.
Wie schnell doch alles gegangen ist! Balduin fährt seinen Freund besuchen, hoch da oben irgendwo in Westfalen. Der Freund ist Tierarzt. Der Sohn des Freundes ist auch Tierarzt. So ein lieber, ruhiger und bescheidener Mensch, der ganz in seinem Beruf aufgeht, der auf den Dörfern die Pferde und Schweine besucht und jungen Kälbchen auf die
Welt kommen hilft. Der Herr Doktor med. vet. sehnt sich schon lange nach Glück und einem Frauchen. Das Frauchen aber hat sich bisher nicht eingefunden. Jetzt ist es plötzlich da. Vaters Freund hat ihm die Kunde gebracht...
Und das Frauchen Klothilde ist selig und fühlt sich vom Glück umarmt.
Der Kater ist bald drei Monate alt. Mama hat das schöne Kissen längst fertig, das Kissen mit dem schrecklich bunten Hund. Und Klothilde weiß nun Bescheid mit den Säugetieren und weiß auch, wie das mit dem Kater ist. Sie weiß inzwischen überhaupt so manches, weiß aber vor allem, was Liebe ist.
„Danke sehr, meine Herrschaften, danke sehr! Ein ausgezeichnetes Bild! Gnädige Frau, Sie gestatten doch, daß ich es in mein Fenster stelle? Ein gutes Reklameschild, ein sehr gutes...!“
Aber gewiß, Herr Photograph! Hängen Sie es meinetwegen an alle Litfaßsäulen, hängen Sie es nur... Schade, so etwas gibt es in Rheinstadt nicht.
Emma nimmt ein Glas. Der Wein darin schlägt kleine Wellen. Emmas Hände zittern.
„Ihr Lieben — laßt uns trinken auf das Wohl unserer Kinder! Laßt uns trinken auf die Bande, die sich nunmehr um unsere Familien schlingen...!“
Balduin, Prost!
Denken Sie daran: Morgen ist der „Tag der Rache“! Morgen ist Abiturprüfung. Behalten Sie einen klaren Kopf, Herr Studienrat!
☆
Zu derselben Stunde, da im Hause Peterstraße 7a die Gläser klingen, steht im Kölner Hauptbahnhof ein D-Zug abfahrtbereit. Richtung Berlin. Civilis ist gar nicht nach belegten Brötchen zumute, die da ausgerufen werden. Er will auch nichts wissen von den neuesten Nachrichten, die ausgeschrien werden. Er sieht in die Augen Hildes... Hilde steht am Fenster ihres Abteils. Civilis auf dem Bahnsteig. Er will ihre Hände nehmen. Hilde lächelt.
„Wozu denn alles so schwermachen? Vernünftig sein, mein charmanter Kiekindiewelt! Morgen machst du Abitur — schön artig bleiben...“
Da ruft einer. Bitte einsteigen! Der Zug geht gleich ab! Civilis möchte den Schaffner am liebsten verprügeln. Ach was, der Mann tut ja nur seine Pflicht. Er kann ihm die Hilde doch nicht zurückhalten.
„Wann sehen wir uns denn wieder, Hildchen?“
„Überlassen wir es doch dem Zufall... Sieh mal, wenn ich jetzt an der Ballettschule bin, weißt du... Warten wir es ab... Du gehst doch fort
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