Fleisch essen, Tiere lieben
Festag. »Wenn sie Angst hätten, könnten die sich sonst ganz anders wehren. So ein Schwein wiegt gut 100 Kilo. Wissen Sie: Für mich ist nach all den Jahren klar, dass die Tiere den Geruch nicht mit ihrem eigenen Tod in Verbindung bringen können. Außerdem wurden sie alle schon gestern hier eingetrieben. Und natürlich führen wir die Schlachtungen immer nur an ein paar Tieren auf einmal durch. Sie sind also nicht gestresst.«
Weniger Stress für Tiere ist nicht reine Nettigkeit vonseiten des Schlachthofs. Sondern auch eine Frage der Fleischqualität, und damit der Wirtschaftlichkeit. Wie Fleisch schmeckt, welche Konsistenz und welchen Nährwert es hat, hängt nicht nur davon ab, was das Tier gegessen und wie es gelebt, welche Medikamente es während seines Lebens bekommen hat, sondern auch davon, wie viel Stress es am Ende seines Lebens durchmachen musste. Die Lebensqualität von Tieren ist direkt mit der unseren verbunden, wenn wir die Körper dieser Tiere essen. Man muss kein Esoteriker sein, um zu begreifen, dass wir eben nicht nur Rindereintopf oder Salami-Sandwiches essen, sondern die Körper von Tieren buchstäblich in uns aufnehmen, die Qualität des Fleischs also eine wichtige Rolle spielt. Konkret bedeutet das: Wenn Schweine beim Schlachten Angst bekommen, sinkt der pH-Wert ihres Fleischs ab. Die Schnitzel und Filets aus einem solchen Tier sind blass, weich und wässrig. Das Fleisch wird zäh, schrumpft in der Pfanne und ist nur noch sehr kurz haltbar. ¹³⁰
Die EGO-Schlachthof GmbH kann sich das nicht leisten, denn sie hat sich auf eine Nische im Fleischmarkt spezialisiert: Sie ist eine Erzeugergemeinschaft und Teil eines sogenannten Qualitätsfleischprogramms, das höhere Standards in Fragen der Tierhaltung, des Transports und der Schlachtung erfüllt – und deren Produkte auch mehr kosten. Es ist definitiv kein Biofleisch, aber auch keine Discounter-Massenware.
Einer der größten Kritikpunkte an der Fleischbranche besteht darin, dass die Tiere aus Kostengründen längst nicht mehr an einem Ort geboren, gemästet, geschlachtet und zerlegt werden. Stattdessen teilen sich mehrere spezialisierte Betriebe die Arbeit: Kälber- und Ferkelerzeugung, Aufzucht, Mast, Schlachtung, Zerlegen. Im schlimmsten Fall bedeutet das für die Tiere, dass sie immer wieder in Lkw’s von Ort zu Ort gebracht werden müssen, was sie in Angst und Stress versetzt, denn kein Tier geht freiwillig in eine ungewohnte Umgebung. Zwar schreibt die EU Mindeststandards für Tiertransporte vor: Eine Pause nach acht Stunden etwa, in der die Tiere gefüttert und getränkt werden. Doch kritisieren Tierschützer immer wieder, dass diese Standards zum einen zu niedrig seien, zum anderen oft nicht einge halten würden. Ein Problem ist zudem der Tiertransport ins außereuropäische Ausland, wo die Tierschutztransport-Verordnung nicht gilt. Allein im Jahr 1992 wurden rund 20 Millionen Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und Pferde über die EU-Gren zen transportiert. Die Erzeugergemeinschaft Osnabrück, zu wel cher der EGO-Schlachthof gehört, macht es anders. Die EGO ist eines der wenigen Unternehmen in Deutschland, bei der die gesamte Produktionskette der Fleischherstellung in einer Hand liegt. Von der Erzeugung bis in die Ladentheke verläuft die Produktion innerhalb eines geschlossenen Systems. Die Tiere bekommen keine Medikamente und Wachstumsförderer und kommen aus der Region, die Transportwege sind kurz.
Ob die Schweine in Festags Betrieb wirklich gar keinen Stress erfahren, weiß ich nicht. Eines lässt sich nicht leugnen: Ihr Tod passiert geradezu unheimlich schnell und lautlos. Mit dem Horror der Schlachthäuser, wie sie Jonathan Safran Foer beschreibt, in denen vor lauter Schlachten halb wahnsinnig gewordene Arbeiter Tiere sadistisch ermorden, hat das hier wenig zu tun.
Ich bin trotzdem froh, als die Tür wieder hinter mir und Herrn Festag zufällt. In allen Teilen des Betriebs, die wir jenseits dieses Tötungsraums besichtigen, begegnen wir den Schweinen nur im toten Zustand, und das ist deutlich leichter. Es ist der Unterschied zwischen dem, was Herr Festtag »das Tier«, und dem, was er den »Schlachtkörper« nennt. Das Tier läuft in die Falle und stirbt. Das, was anschließend aus dem heißen Wasserbad aufsteigt, kopfüber aufgehängt, ist kein Tier mehr. Es ist Fleisch.
Nachdem ich den EGO-Schlachthof verlassen habe, bin ich den ganzen Tag leicht traurig. Ab und zu habe ich plötzlich das Gefühl, Schweine zu riechen,
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