Fleisch essen, Tiere lieben
Gruppe rosafarbener Schweine hängen, die eben um die Ecke traben. Ein Arbeiter treibt sie mit einem großen, roten Plastikpaddel heran. »Gleich sind sie tot«, schießt es mir durch den Kopf, und: »Das kann doch nicht sein.« Und doch: Ein weiterer Arbeiter, ein kleiner, kräftiger Mann mit Schnurrbart, steht mit einer großen Zange in der Hand vor einer Box. Festag nennt sie die »Falle«, was es ganz gut trifft, denn ein Schwein, das hier hineinwandert, geht im Leben sonst nirgends mehr hin. Dann geht alles sehr schnell: Jeweils ein Schwein auf einmal drängt das Paddel durch eine Klappe in die Falle hinein, die nichts anderes als ein kurzer, geschlossener Gang ist. Sobald das Schwein in der Falle steht, setzt der mit dem Schnurrbart die Zange an den Kopf des Tieres. Sofort steht das Schwein, das vorher noch interessiert am Boden geschnüffelt hat, wie erstarrt. Auf seinem Gesicht erscheint, was einer der Porkcamp-Teilnehmer als »Grinsen« bezeichnet hat. Vier Sekunden lang jagt die Zange Strom in den Schweinekopf, dann fällt das Tier betäubt zur Seite, auf ein Fließband. Dort erst begegnet es dem eigentlichen Tod: Eine Hand mit einem Messer schnellt nach vorne, sticht mit einer einzigen, genauen Bewegung in die Halsschlagader. Dunkelrotes Blut pulst sehr schnell in einem dicken Schwall heraus, rinnt zur Seite. Ich habe mich kaum von dem Schreck erholt, als schon das nächste Schwein auf das Band fällt. Während die Tierkörper in Richtung des heißen Wasserbads fahren, in dem sie im nächsten Schritt überbrüht werden, zucken und zappeln ihre Beine, während das Blut weiter aus ihren Hälsen strömt. Kein schöner Anblick, aber eine normale biochemische Reaktion des Körpers. Das Herz schlägt nach dem Gehirntod noch kurz weiter. Die Schweine, versichert Festag, merken davon nichts mehr. Ich bin etwas benommen, weiß nicht, was ich mir anders vorgestellt hatte. Nicht gerade Pfeil und Bogen, aber wohl eher so etwas wie einen Schuss, etwas Direktes. Nicht ein Verbluten auf dem Fließband.
Es ist gleichzeitig unheimlich und beeindruckend, wie dieses Ding, das noch die Züge eines Tiers trägt, in wenigen, schnellen Schritten zu Fleisch wird. Nach dem Brühen verlieren die Schweine ihre Borsten in einer Art Tunnel, der einer Autowaschanlage sehr ähnlich sieht – mit dem kleinen Unterschied, dass das Element der Wahl hier nicht mehr Wasser, sondern Gasflammen sind. An der nächsten Station steht ein Mann, der Augen und Ohrmuscheln herausschneidet, der Nächste schlitzt den Bauch auf und holt den Darm heraus, der graubraun, glänzend und wulstig in eine Schale pladdert, es folgen die anderen Organe. Es ist sehr laut. Ein ständiges Rauschen und Dröhnen, verursacht durch metallisches Schnarren von Fließbändern, Messern, Maschinen.
Es ist etwas Besonderes, dass Festag mich das alles sehen lässt. Er hätte auch versuchen können, mich in dem Konferenzraum, in dem wir später sitzen werden, mit Kaffee, Wurstbroten und Werbebotschaften abzuspeisen. »Fleisch aus einer heilen Welt« steht dort auf den Faltblättern, die Besucher mitnehmen können. Aber Festag meint, dass sein Betrieb nichts zu verbergen habe. Er glaubt, dass die meisten Fleischproduzenten ordentlich arbeiten, dass Medienberichte, die das Gegenteil behaupten, maßlos übertreiben. Er spricht von Transparenz, davon, wie er Freunde aus dem BWL-Studium in seinem Betrieb herumgeführt und von allen hinterher positive Rückmeldungen bekommen hat: Es ist okay, was du machst. Festag lässt mich alles sehen, weil er weiß, dass sein Betrieb im Rahmen des Systems, in dem er existiert, gute Arbeit erledigt. Er will das schlechte Bild ändern, das der Verbraucher von seiner Branche hat. Einer Branche, die keine gemeinsame Stimme für die Presse mehr hatte, seit die CMA (Centrale Marketing Agentur) 2009 dichtgemacht wurde. Jetzt engagiert Festag sich in einem Verein, der diese Lücke füllen soll: »WIR erzeugen Fleisch« ist gerade frisch gegründet worden. Gründungsmitglieder sind unter anderem der Deutsche Bauernverband, der Verband der deutschen Fleischwirtschaft und der Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion. Ich erzähle ihm von meinem Eindruck, dass die Branche misstrauisch auf Neugier reagiert. Dass er, Festag, unter 30 Vertretern von Schlachtbetrieben, denen ich geschrieben und die ich angerufen habe, als Einziger positiv geanwortet hat. Ein Fehler, findet Festag. Das Schweigen der Branche nähre das Misstrauen der Kunden.
Er hat
Weitere Kostenlose Bücher