Fleisch essen, Tiere lieben
Schlachtfeste, wie sie früher üblich waren und heute nur noch vereinzelt praktiziert werden, den Sprung in die Moderne schaffen. Lohas und Gesinnungsgenossen kommen von der Denkart des »Du bist, was du isst«. Sie erinnern damit an ein altes Prinzip, und es könnte sich immer mehr der Gedanke durchsetzen, dass, wenn man Fleisch essen will, man es am besten persönlich kennenlernt – und zwar dann, wenn es noch lebt.
Siepert jedenfalls plant bereits das nächste Porkcamp.
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Unter Schweinen oder das Ich am Fleischerhaken
Als ich in den Hof des Schlachthofs einbiege, bin ich in Gedanken noch so sehr auf die überschaubare Szenerie des Porkcamps eingestellt, dass die Realität eines großen Schlachtbetriebs mich etwas überrumpelt. Aber es hilft nichts, jetzt bin ich an der Rei he: Ich werde zusehen, wie ein Schwein geschlachtet wird. Freun de und Familie, denen ich in den letzten Wochen von meinem Vorhaben erzählt habe, reagierten darauf mit einem Entsetzen, als hätte ich den Plan gefasst, waffenfähiges Plutonium zu kaufen. Aber ich denke, dass niemand eine Autorin, die über Fleisch schreibt, ernst nehmen kann, wenn sie in der sicheren Zone des Theoretischen bleibt. Nicht einmal die Autorin selbst.
Eins habe ich dabei fast vergessen: Von einem Schwein kann natürlich keine Rede sein. Im EGO-Schlachthof bei Osnabrück geht es täglich etwa 1600 Schweinen an den Kragen. Und der Betrieb läuft meinetwegen kein bisschen langsamer.
In einem dünnen, weißen Schutzanzug, der mich optisch in ein dickes Michelin-Männchen verwandelt, laufe ich neben Geschäftsführer Rudolf Festag durch eine Desinfektionswanne. Alles ist sehr sauber. In der Luft hängt ein Geruch, der Kindheitserinnerungen zurückbringt, die Metzgerei im Dorf, eine Scheibe Wurst über die Theke gereicht, zum Probieren. Dann treten wir durch eine Tür, und auf einmal ist alles Fleisch. Menschen stehen an langen Tischen und schneiden mit scharfen Messern und schnellen Bewegungen an großen, rosaroten Brocken herum, unzählige Schweine in verschiedenen Graden der Zerstückelung. »Was wir hier machen, bezeichne ich immer noch als Manufaktur«, sagt Festag. Auf mich macht das Ganze einen industriellen, durchorganisierten Eindruck: Fließbänder, Hände, die immer wieder die gleichen Bewegungen ausführen, und so viel Fleisch, wie ich es im Leben noch nicht gesehen habe. In einem Kühlraum hängen rohe Schweineschinken in langen Reihen von der Decke, in anderen stapeln sich Plastikkisten mit Schweineherzen, Lebern und Pfoten. Wenn uns in den Gängen eine Schweinehälftenreihe begegnet, müssen wir uns eng daran vorbeidrücken. Die Nähe zu den aufgeschnittenen, rohen Körpern ist seltsam. Noch nie habe ich so viele tote Tiere gesehen. Aber das ist noch gar nichts. Ich habe es hier mit einem Betrieb zu tun, der eine halbe Million Tiere im Jahr schlachtet und zerlegt – im Vergleich zu einem Metzger-Kleinbetrieb eine unvorstellbare Menge, vernichtend wenig aber verglichen mit den Riesen der Branche. Die Firma Tönnies etwa, eine der Größten, schlachtet circa 13 Millionen Schweine im Jahr.
Töten geht dem Gesetz nach so:
Wer ein Tier schlachtet oder anderweitig mit Blutentzug tö tet, muss sofort nach dem Betäuben, und zwar für die in Anlage 2 Spalte 1 genannten Betäubungsverfahren innerhalb des jeweils in Spalte 2 festgelegten Zeitraumes, mit dem Entbluten beginnen. Er muss das Tier entbluten, solange es empfindungs- und wahrnehmungsunfähig ist. Bei warmblütigen Tieren muss er dafür sorgen, dass durch Eröffnen mindestens einer Halsschlagader oder des entsprechenden Hauptblutgefäßes sofort ein starker Blutverlust eintritt.
Die Schlachtung, die ich zu sehen bekomme, ist genauso routiniert wie der Gesetzestext. Trotz meines Vorwissens hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt: langwierig. Kompliziert. Im schlimmsten Fall: ein Kampf um Leben und Tod. Stattdessen läuft alles schnell und routiniert ab. Bei über 1000 Schlachtungen am Tag ist einfach kein Platz für Dramatik.
»Sie wollen wirklich alles sehen?«, fragt Festag vor der Tür. Ich nicke nervös. Bis jetzt habe ich nur Fleisch gesehen. Aber jetzt, durch die halboffene Tür, sehe ich ein lebendiges, rosa Schwein. Im nächsten Moment, ich weiß nicht genau, was passiert, kippt es zur Seite, ist weg.
Als wir eintreten, macht Festag eine beschwörende Handbewegung in meine Richtung. »Langsam. Nicht die Tiere erschrecken.« Ich höre kaum hin, denn mein Blick bleibt an einer
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