Fleisch essen, Tiere lieben
Grausamkeit an Tieren. Der Spruch »Weniger ist mehr« hat mich schon immer genervt. Weniger ist nicht mehr, sondern weniger. Aber da müssen wir halt durch.
Artgerechte Tierhaltung ist wichtig, aber nicht alles. Wenn sämtliche Tiere, die wir heute essen, im Freien leben sollten, müssten fast alle Wälder und Felder in Weiden umgewandelt werden. Das gleiche Problem – Vegetarier aufgepasst – gilt für Eier und Milch. Es gibt einfach nicht genug Platz, um unseren Hunger nach Tierprodukten tierfreundlich zu befriedigen. Die einzige Möglichkeit, Massentierhaltung und -schlachtungen überflüssig zu machen, liegt darin, die Nachfrage nach den Produkten, die aus diesen Systemen stammen, zu reduzieren und letztlich ganz zu beseitigen. Es hat keinen Sinn, auf das Eingreifen politischer Entscheidungsträger zu warten. Gesetzliche Regelun gen können die Lebensbedingungen von Tieren verbessern. Aber wenn wir nicht gleichzeitig unseren Konsum reduzieren, vollzie hen sich diese Veränderungen zu langsam. Mit jeder Mahlzeit gibt man seine Stimme ab. Raushalten kann sich keiner.
Als ich die Kolumne »Gewissensbisse« auf Zeit Online schrieb, in der es um ethische Fragen rund ums Essen ging, bekam ich immer wieder den gleichen Vorwurf zu hören: Gute, ethisch vertretbare Nahrung sei eine Elitesache, da nur Menschen mit entsprechendem Einkommen zur Biowurst greifen könnten. Dieses Argument ist absurd. Es ist eine Entschuldigung, den Status quo beizubehalten, nach dem Grundsatz: Es ist egal, was ich und ein paar andere machen – die Mehrheit macht es sowieso anders.
Die Frage, wer das bessere Fleisch bezahlen kann, hängt weniger von dicken oder dünnen Konten ab, sondern davon, wie oft ein Esser nach Fleisch verlangt. Der Einkommensanteil, den der deutsche Verbraucher für Lebensmittel ausgibt, liegt laut Statistischem Bundesamt bei rund neun Prozent. Von dem Geld werden an erster Stelle Fleisch und Wurst (22,7 Prozent) und an zweiter Stelle Brot und Getreidewaren (17,2 Prozent) gekauft. An dritter Stelle stehen Milchprodukte. ¹³⁶ Die meisten Deutschen essen jeden Tag Fleisch. Es hat seinen Luxuscharakter längst verloren, und das ist keine gute Entwicklung. Trotz allgemein steigender Lebensmittelpreise geben wir heute insgesamt weniger für Fleisch aus als 1998. Ein Industriearbeiter musste 1970 etwa 96 Minuten für ein Schweinekotelett arbeiten, 2000 nur noch eine gute halbe Stunde. ¹³⁷ Je weniger Geld der Durchschnittsdeutsche verdient, desto mehr Fleisch isst er. Kein Mensch würde freiwillig den billigsten, schlechtesten Kindergarten wählen oder eine schnelle Herztransplantation zum Discount-Preis. Richtig geizig sind wir nur beim Essen. Niemand, absolut niemand in diesem Land, ist auf anonymes Billigfleisch angewiesen.
Wenn Sie auf einem Spaziergang einer Frau begegnen, die liebevoll ein Lämmchen auf einer Weide betrachtet und dabei murmelt: »Du schmeckst gut mit Knoblauch und Rosmarin«, dann wissen Sie: Das ist meine Mutter. Als Kind in Bayern hatte sie den Spitznamen »Fleischkatzl«, und auch heute noch kann sie mit beunruhigend wölfischem Zähnefletschen über ein leicht blutiges Steak herfallen. Trotzdem bestellt sie in guten Restaurants gerne die vegetarischen Gerichte. Sie sagt dazu: »Jeder Idiot kann eine Fasanenbrust braten. Ich will etwas, das ich nicht mal eben zu Hause hinkriege.« Es macht mehr Mühe und erfordert mehr Kreativität und Können, am eigenen Herd etwas Leckeres aus Pflanzen herzustellen. Fleisch zu essen ist, nicht zuletzt, bequem. Die beste Methode, bei McDonald’s einen frisch zubereiteten Burger zu bekommen, der dann auch noch am Tisch serviert wird: die vegetarische Variante bestellen. Das macht sonst keiner. Die absurde Pointe dabei: Die vegetarische Bulette kostet oft ein bisschen mehr als der Rinderburger. Fleisch ist einfach Standard. Für die meisten Deutschen gehört es einfach zu einer ordentlichen Mahlzeit. Selbst auf Salaten liegen Schinken- oder Hühnerbruststreifen. Solange das so ist, dürfte es vielen schwerfallen, weniger Fleisch zu essen.
Manche werden problemlos auf Industriefleisch verzichten können. Andere würden eigentlich gerne weniger und besseres Fleisch essen, werden beim abendlichen Einkauf aber doch schnell wieder die abgepackte Hühnerbrust in den Wagen werfen, weil der Metzger schon geschlossen hat oder weil nach der Arbeit zum Gemüseschälen schlicht die Kraft fehlt. Niemand sollte sich deshalb von Schuldgefühlen zerfressen lassen. Das
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