Fleisch und Blut: Der Kannibale (German Edition)
seiner Kindheit einiges schief gelaufen.»
«Oder er mordet aus purer Boshaftigkeit.»
«Eine gewisse Intelligenz ist ihm nicht abzusprechen, sofern man bei diesen grausamen Taten überhaupt von Intelligenz sprechen kann. Zumindest handelt er nach einem ausgeklügelten Plan. Er weiss genau, was er tut.»
«Ja. Vermutlich haben Sie recht, Frau Fuchs. Leider ist er uns um Schritte voraus.»
«Hören Sie endlich auf, sich in Ihrem Selbstmitleid zu wälzen, Aemisegger. So kommen Sie nicht weiter, und so kann ich Ihnen auch nicht dabei helfen, den Mörder zu finden.»
Ihre Ansage hat gesessen. Verdattert biss Aemisegger in sein letztes Stück vom Fleisch.
«Die Frage, was der Täter seinen Opfern antut, macht mich wahnsinnig. Ich hoffe, Sie verstehen mich wenigstens ein bisschen. Schliesslich ist es mein Beruf, solche Leute wegzusperren und die Bevölkerung von solchen Menschen zu schützen.»
«Schon klar, Aemisegger. Sie haben die Bevölkerung in all den Berufsjahren vor so vielen Tätern schützen können. Sie werden es auch diesmal schaffen. Glauben Sie an sich selbst!», schimpfte Fuchs. Sie sprach mit ihm wie mit einem Kleinkind. Es kam an. Endlich hörte er ihr zu.
Es dauerte noch einige Minuten, bis Aemisegger völlig aus seinem Maulwurfsloch empor gekrochen war und sich sein Ehrgeiz zeigte. Carla Fuchs überlegte weiter. Plötzlich kam ihr ein Gedanke.
«Warum bin ich nicht schon vorher darauf gekommen?»
Neugierig blickte Aemisegger auf: «Worauf gekommen?»
«Überlegen Sie doch mal. Wir suchen vielleicht viel zu weit.»
«Ich hab keinen Schimmer, worauf Sie hinauswollen, Frau Fuchs.»
«Sie haben mir soeben das Stichwort gegeben!» Ihre Stimme bebte etwas bei der Erkenntnis. Sie musterte ihren Kollegen kurz und als sie sah, dass er nichts anderes tat als ihr zuzuhören, kam es sprudelnd aus ihr heraus:
«Schlachten – sagten Sie? Erinnern Sie sich, Aemisegger, Herr Kägi stellte bei allen drei Opfern Schnittwunden an den Knochen fest. Solche, wie man es von einem geschlachteten Tier her kennt. Oder täusche ich mich?»
Aemisegger nickte. «Ja, korrekt.»
«Im Untersuchungsbericht von Lukas Brennwald stand zudem, dass die Tötung durch einen Messerstich durch den Hals erfolgte, so wie man es vom Schlachtungsvorgang bei Tieren kennt. Oder?»
«So hatte es uns Kägi erklärt, ja. Allerdings wäre es nicht zwingend notwendig, dass Sie mich an dieses Bild erinnern. So nebenbei gesagt.»
«In diesem Punkt verstehe ich Sie nicht ganz, Aemisegger. Sie essen doch auch Fleisch, oder haben Sie nicht soeben ein Cordon bleu verdrückt? Was denken Sie geschieht mit dem Tier, bevor es auf dem Teller landet?»
«Natürlich. Fleisch essen ist das Normalste der Welt!»
«Sind Sie sich sicher, dass das Fleisch vom Schwein war?»
«Was ist los mit Ihnen, Frau Fuchs – drehen Sie jetzt völlig ab? Natürlich haben wir Schweinefleisch gegessen!»
Carla Fuchs lächelte vor sich hin. Es gelang ihr, Aemisegger auf das Thema zu sensibilisieren, aber vor allem, ihn aus der Reserve zu locken.
Nachdem die Detektivin beobachtet hatte, dass sich Aemisegger beruhigte, schlug sie einen ernsteren Ton an: «Hören Sie, es klingt jetzt vielleicht abstrakt, doch wir sollten diesen Gedanken in Erwägung ziehen.»
«Was meinen Sie mit abstrakt?»
«Ich hoffe, Sie sind stark genug, sich das vorstellen zu können: Unser Täter könnte das Fleisch von Artgenossen verzehrt haben.»
«Sind Sie wahnsinnig? Wie soll ich mir das vorstellen?»
«Hören Sie endlich auf, die Realität von sich zu weisen. Sie sind doch kein kleines Kind mehr! Wollen Sie Ihren Fall aufklären oder weiterhin Trübsal blasen? Und überhaupt: erwiesen ist gar nichts, doch ich bin mir fast sicher.»
«Na gut. Sie haben recht. Auch wenn mich diese Vorstellung erschüttert.»
«Denken Sie, der Gedanke bereitet mir Vergnügen? Nein. Doch wir sollten langsam damit beginnen, den Tatsachen ins Auge zu schauen. Wenn er seine Opfer wirklich verspeist, stellt sich die Frage: Tat er dies, als Teil eines Rituals oder um seinen Hunger zu stillen? War es Rache oder gehört bei unserem Mörder das Essen von Menschenfleisch auf seinen Speiseplan?»
«Woher soll ich das wissen!» Aemisegger war gedanklich wie gelähmt.
Carla Fuchs fuhr unbeirrt fort: «Aus einem Hungersleiden heraus tötet er wohl kaum. Immerhin leben wir hier in der Schweiz und soviel ich weiss, ist noch kein Hungers-Notstand ausgebrochen.»
Irritiert starrte
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