Fleisch und Blut
Nacht.«
»Letzte Nacht war unglücklich.«
Ihre Augen funkelten. »Unglücklich? Etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein? Wissen Sie, was das Problem mit dieser gottverdammten Welt ist? Niemand sagt je, dass es ihm Leid tut.«
»Lauren -«
»Vergessen Sie's.« Sie schwenkte abweisend das Papier. »Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe gemacht habe.« Sie begann in ihrer Tasche herumzuwühlen. »Die Sitzung ist beendet. Wie viel nehmen Sie jetzt? Wahrscheinlich mehr, wo Ihr Name jetzt in der Zeitung steht.«
»Bitte, Lauren -«
»Nein«, sagte sie und sprang auf. »Es ist meine Zeit, also erzählen Sie mir nicht, was ich damit machen soll. Niemand sagt mir heute, was ich tun soll. Das gefällt mir so an meinem Job.«
»Die Situation unter Kontrolle zu haben.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte mich von oben herab an. »Ich weiß, was Sie hier tun mit Ihrem Psychogerede, aber in diesem Fall haben Sie zufällig Recht. Letzte Nacht waren Sie vielleicht zu sehr auf Touren, um es zu registrieren, aber ich bestimmte, was da ablief, Michelle und ich. Euch Typen standen die Mäuler offen und eure Schwänze wurden steif, und wir hatten euch am Gängelband. Also urteilen Sie nicht über mich, als wäre ich eine hirnlose Schlampe.«
»Ich urteile nicht.«
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und sie kam einen Schritt näher. »Warum muss ten Sie so weglaufen? Warum haben Sie sich meiner geschämt?«
Als ich überlegte, was ich sagen sollte, lächelte sie wissend. »Ich hab Sie scharfgemacht, und deshalb sind Sie ausgeflippt.«
Ich sagte: »Wenn ich Sie nicht gekannt hätte, wäre ich wahrscheinlich dageblieben. Ich bin gegangen, weil ich mich geschämt habe.«
Sie lächelte süffisant. »Wären Sie wahrscheinlich dageblieben?«
Ich sagte nichts.
»Aber Sie kennen mich nicht«, sagte sie. »Wie können Sie das Gegenteil behaupten?«
»Die Tatsache, dass Sie hier sind -«
»Na und?«
»Lauren, Sie sind damals zu mir gekommen, als Sie Hilfe brauchten, und meine Pflicht war es, für Sie da zu sein. Als wäre ich eine Art Ersatzvater. Ich habe gemerkt, dass meine Anwesenheit auch Ihnen peinlich war, aber gegangen bin ich, weil ich mich geschämt habe.«
»Wie edel«, sagte sie. »Mann, Sie sind vielleicht verkorkst. Wie alle Männer, okay, ich hab bekommen, was ich haben wollte. Jetzt werde ich Sie bezahlen.«
»Es gibt nichts zu bezahlen.«
Sie wackelte mit einem Finger. »O nein, kommen Sie mir nicht so. Sie haben den Doktortitel und die Seriosität, und in Ihren Augen bin ich eine Stripper-Schlampe. Aber wenn ich Sie bezahle, ist das Gleichgewicht wieder hergestellt.«
»Ich urteile nicht über Sie, Lauren.«
»Das sagen Sie.« Sie zog eine Rolle Banknoten aus ihrer Jeanstasche. »Wie hoch ist die Rechnung, Doktor?«
»Ich möchte mit Ihnen über -«
»Wie viel?«, wollte sie wissen. »Was ist Ihr Stundensatz?«
Ich sagte es ihr. Sie stieß einen Pfiff aus. »Nicht schlecht.« Sie zählte ein paar Scheine ab und reichte sie mir. »Okay, da haben Sie's, und Sie brauchen es nicht mal bei der Steuererklärung anzugeben. Ich finde allein hinaus.«
Ich folgte ihr trotzdem. Als wir zur Tür kamen, sagte sie: »Mein Bündel Geldscheine - wovon ich Sie gerade bezahlt habe? Haben Sie gesehen, wie dick es ist? Das ist mein Trinkgeld, Schätzchen. Ich mache jede Menge Trinkgeld.«
4
Jetzt, vier Jahre später, musste ich mit ihrer Mutter sprechen.
Mrs. Jane Abbot.
Also hatte sie wieder geheiratet. War das Leben jetzt besser zu ihr? War der Fleck auf ihrer Lunge wieder aufgetreten? Ich war neugierig, wäre aber nicht unglücklich gewesen, wenn ich es nicht erfahren hätte.
Das Leben wäre so viel einfacher, wenn ich einer von diesen Schwindlern wäre, die sich nicht verpflichtet fühlen zurückzurufen.
Meine schwülstige kleine Ansprache an Lauren über meine Rolle als Ersatzvater klang mir in den Ohren. Trotzdem zögerte ich den Anruf hinaus. Ließ den Kaffee durchlaufen, brachte eine bereits aufgeräumte Küche auf Vordermann, überprüfte die Vorräte in der Speisekammer. Als ich wieder in die Küche kam, stellte ich fest, dass ich vergessen hatte, Kaffee in den Filter zu tun, und fing noch mal von vorne an. Der Maschine beim Blubbern zuzuhören gewährte mir noch ein paar Minuten Aufschub, und als ich mich schließlich hinsetzte, um den Kaffee zu trinken, gab ich einen kleinen Schuss Brandy in den Becher, ließ mir Zeit beim Trinken, überflog eine Zeitung, die ich bereits von
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