Fleisch
Dunkelheit.
Der Stacheldrahtzaun erwischte ihn hart, und der Stromschlag riss ihn von den Beinen. Er schwankte und spürte dieStiche in seiner Haut. Er fühlte sich wie ein Fisch an der Angel, nur dass die Angel tausend Haken hatte. Der Schmerz umgab seinen ganzen Körper, durchbohrte ihn von allen Seiten.
Als Dawson Hayes heftig auf dem Boden aufschlug, war sein T-Shirt blutdurchtränkt.
2. KAPITEL
Fünf Meilen entfernt
„Überhaupt kein Blut?“ Special Agent Maggie O’Dell versuchte, nicht allzu sehr außer Atem zu klingen. Sie ärgerte sich, dass sie sich so anstrengen musste, um mitzuhalten. Ihre Kondition war gut, sie joggte regelmäßig, aber in den sanft ansteigenden Sanddünen mit dem wogenden hohen Gras fühlte sich das Gehen an wie Wassertreten. Dass ihr Begleiter fast einen Kopf größer war und seine langen Beine an das Gelände der Sandhügel von Nebraska gewöhnt waren, machte die Sache nicht gerade besser.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, verlangsamte State Patrol Investigator Donald Fergussen sein Tempo, damit sie aufschließen konnte. Erst dachte sie, er wäre übertrieben höflich, als er anhielt, doch dann sah sie den Stacheldrahtzaun, der ihnen den Weg versperrte. Fergussen hatte sich die ganze Zeit über wie ein Gentleman verhalten, bis es ihr beinahe auf die Nerven ging. Ärgerlich fand Maggie O’Dell es deswegen, weil sie die letzten zehn Jahre ihres Berufslebens damit zugebracht hatte, ihre männlichen Gegenüber und Kollegen unauffällig dazu zu bringen, sie nicht anders zu behandeln als einen Mann.
„So etwas Merkwürdiges habe ich noch nie gesehen“, antwortete er schließlich.
Maggie hatte schon fast vergessen, dass sie ihn etwas gefragt hatte. So war er schon, seit sie von Scottsbluff losgefahren waren. Er antwortete langsam, bedachte sorgfältig jede Frage und gab dann eine wohlüberlegte Antwort. „Aber es stimmt, kein Blut am Tatort. Gar keins. War bisher immer so.“
Ende der Erklärung. Das war auch eine seiner Angewohnheiten. Er benutzte nicht nur wenige Worte, sondern schien Worte auch abzuwägen und zu verwenden, als wären sie ein wertvolles Gut.
Er deutete auf den Zaun.
„Seien Sie vorsichtig. Könnte geladen sein“, sagte er. Er zeigte auf einen dünnen, beinahe unsichtbaren Draht, der von Pfosten zu Pfosten lief, ungefähr fünfzehn Zentimeter über dem obersten der vier Stacheldrahtstränge.
„Geladen?“
„Die Rancher verwenden manchmal zusätzlich Elektrozäune.“
„Ich dachte, das Land wäre in Staatsbesitz?“
„Der Nationalforst wird schon seit den 1950ern an Viehzüchter verpachtet. Das kommt beiden Seiten zugute: Die Rancher haben frisches Weideland, und die Erlöse können zur Aufforstung verwendet werden. Außerdem verhindert das Abgrasen die Ausbreitung von Bränden.“ Er sagte das ohne innere Überzeugung, ganz sachlich, und klang dabei, als verläse er eine öffentliche Bekanntmachung. Unterdessen begutachtete er den Draht. Sein Blick verfolgte ihn von Pfosten zu Pfosten, während er einige Schritte an ihm entlangging. Er hielt warnend seine Hand hoch, damit Maggie wartete, bis er ihn überprüft hatte.
„1994 haben wir über fünftausend Morgen dadurch verloren. Blitzschlag“, fuhr er fort, immer noch nach dem Draht sehend. „Es ist erstaunlich, wie schnell sich Feuer in dem Grasland hier draußen verbreitet. Zum Glück sind nur rund zweihundert Morgen Kiefernwald vernichtet worden. Woanders mag das nicht viel sein, aber wir haben hier das größte von Hand aufgeforstete Waldgebiet der Welt. Gut zwanzigtausend der insgesamt rund neunzigtausend Morgen sind mit Kiefernwald bewachsen. Wurde alles der Natur abgetrotzt.“
Maggie schaute über ihre Schulter. In ungefähr einer Meile Entfernung konnte sie eine deutliche Linie erkennen. Dort endeten die mit Gras bewachsenen Sanddünen abrupt, und üppiger, grüner Kiefernwald begann. Sie dachte daran, dass sie stundenlang gefahren war und kaum Bäume gesehen hatte. Wie seltsam, dass es hier überhaupt einen Nationalforst gab.
Donald Fergussen hatte an einem der Pfosten etwas entdeckt.
Er ging in die Hocke, um es genauer betrachten zu können.
„Die meisten Forstbehörden sagen, Feuer kann gut für das Land sein, weil es den Wald verjüngt“, erklärte er, ohne sie anzusehen. „Aber hier muss alles, was zerstört wird, wieder neu angepflanzt werden. Daher gibt es für den Wald sogar eine eigene Baumschule.“
Für einen Mann der wenigen Worte hatte er viel gesagt, aber
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