Fleisch
Prozessionen und das Anzünden von Kerzen, weitere Gebete und Lieder, die von einem Chor gesungen wurden, der aus Johnnys Mitschülern bestand.
Sie saß zwischen Donny Fergussen und Lucy Coy und starrte auf die bunten Kirchenfenster. Sie versuchte, an gar nichts zu denken. Das helle Morgenlicht brachte das Orange, Rot und Violett zum Leuchten und warf bunte Regenbögen an die Wände. Was für eine Ironie, dass diese Tragödie mit einer Lightshow begonnen hatte und nun auch mit einer endete.
Aber was Courtney, Nikki und Johnny anging, so war Maggie überzeugt, dass sie Amandas Mobbing zum Opfer gefallen waren. Sie war diejenige gewesen, die die Drogenpartys initiiert hatte, nicht Johnny. Auf diese Weise hatte sie kontrolliert, wen sie in ihr Leben lassen wollte – und wen nicht. Donny Fergussen hatte SMS gefunden, die Courtney, Nikki und Amanda nur kurz vor dem tödlichen Unfall ausgetauscht hatten und die denen ähnelten, die sie mit Johnny in den letzten Minuten seines Lebens geschrieben hatte.
Maggie schielte zu Dawson und seinem Vater hinüber, die auf der anderen Seite des Kirchenschiffs saßen. Er sah blass und schwach aus. Sie wünschte, sie könnte Dawson einfach einpacken und irgendwohin schicken, wo es ihm gut ging.
Lucy hatte sie gefragt, ob sie nicht ein paar Tage bleiben wolle, und Maggie hatte zugestimmt. Als sie gestern Abend mit Platt telefoniert hatte, hatte er sich Sorgen wegen ihrer Verletzungen gemacht; ganz der Arzt, der sich um eine Patientin kümmert. Sogar mit Lucy hatte er sprechen wollen, um sicherzugehen, dass Maggie bei ihr in guten Händen war. Aber Maggie wollte nicht seine Patientin sein. Allerdings wusste sie auch nicht, wie sie ihm beibringen konnte, dass sie einzig und allein wollte, dass er bei ihr wäre. Schon bei dem Gedanken daran kam sie sich zu hilfsbedürftig, zu verletzlich vor. Schließlich sagte sie Platt nur, dass es ihr gut gehe und dass sie sich sehen würden, wenn sie Ende der Woche zurück in Washington wäre. Sie erklärte ihm, es würde einige Tage dauern, die ganze Strecke zu fahren. Sie hatte bereits beschlossen, dass sie Jake mitnehmen und dass sie nicht fliegen würde.
Als die Menschen die Kirche verließen, war Maggie froh, wieder an der frischen Luft zu sein. Vom Weihrauch war sie etwas benommen. Sie spürte, dass Lucy ihren Ellbogen berührte, und anstatt ihr zu versichern, dass alles in Ordnung sei, gestattete Maggie ihr, sie ein wenig zu verhätscheln. Sie traten zur Seite und blieben vor dem Eingang stehen. Sie ließen die anderen die Stufen hinabsteigen und warteten, dass der Menschenstrom abebbte. Von hier oben konnten sie besser beobachten.
Erst als Lucy sie anstieß, sah sie ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Benjamin Platt winkte und bahnte sich einen Weg zwischen den Leuten hindurch, die zu ihren Autos gingen.
„Er sieht besser aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte“, meinte Lucy.
Er sprang die Stufen hinauf, an den letzten Kirchgängern vorüber. Während er sich Lucy vorstellte, huschten seine Blicke über Maggies mitgenommenes Gesicht. Sie wollte ihm sagen, dass er nicht von so weit her hätte kommen müssen, nur um sich um sie zu kümmern. Dass es ihr gut gehe. Dochbevor sie den Mund öffnen konnte, küsste er sie. Er tat dies behutsam und sanft, und dennoch verschlug es Maggie den Atem, und sie hatte keine Zweifel mehr, ob er in ihr nur die Patientin sah.
„Ich dachte, du und Jake hättet vielleicht gerne etwas Gesellschaft auf der Fahrt nach Hause.“ Platt lächelte und fügte dann hinzu: „Aber ich muss dich warnen. Ich stehe auf Musicals.“
71. KAPITEL
Chicago
Roger Bix traf kurz vor Mittag bei dem Verarbeitungsunternehmen im Norden von Chicago ein. Es war erst achtundvierzig Stunden her, seit Platt und er es das letzte Mal besucht hatten. Diesmal jedoch hatte er ein Geschwader von Federal Marshalls dabei, Bundespolizisten, die in drei schwarzen SUVs anrückten.
Sie fuhren im Konvoi um das Gebäude und den Parkplatz herum bis ans hintere Ende des Betriebs. Vor dem Maschendrahtzaun hielten sie an.
Bix wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.
Das Wachhäuschen war unbesetzt. Niemand war hier, um sie am Betreten des Geländes zu hindern.
Auf den ersten Blick wirkte das Gebäude leer und verlassen. Anders als zwei Tage zuvor waren auch im geschlossenen Übergang, der zur Fabrik hinüberführte, keine Wachen und keine gepanzerten Fahrzeuge zu sehen.
Bix wartete, bis die Bundesbeamten aus den SUVs
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